Leben wie Allah in Frankreich

In Frankreich entsteht eine Art islamische Dachorganisation: Auf Betreiben des Innenministers soll ein neuer „Muslimrat“ die unterschiedlichen islamischen Fraktionen einen. Die liberalen, moderaten Muslime aber sehen sich nicht vertreten

aus Paris DOROTHEA HAHN

Die muslimischen Gläubigen in Frankreich sollen eine Dachorganisation bekommen: Den „Conseil français du culte musulman“, den französischen „Muslimrat“. Er soll sich um religiöse Fragen kümmen und zugleich Ansprechpartner für die Regierung sein, die in der muslimischen Gemeinde seit Jahren vergeblich nach einem „obersten Sprecher“ gesucht hat.

Das neue Gremium hat sogar schon ein – von oben nach einem sorgfältig ausgetüftelten Proporz besetztes – Präsidium. Jetzt fehlt dem Muslimrat „nur“ noch ein Statut, ein Terminplan für künftige Wahlen und eine Definition seiner Aufgaben.

Die Arbeit daran soll heute beginnen, wenn sich das Organisationsbüro neuerlich trifft. Im Innenministerium unter der „Inspiration“ von Minister Nicolas Sarkozy. Seit Mai betreibt Sarkozy mit Nachdruck die Einrichtung eines Muslimrates. Nachdem vier seiner Amtsvorgänger bei diesem Ansinnen gescheitert waren, stellte er sein erstes Zwischenergebnis am 20. Dezember stolz der Öffentlichkeit vor.

Wie viele MuslimInnen in Frankreich leben, weiß niemand. Die Erfassung der Religionszugehörigkeit ist offiziell ein Tabu. Frankreich ist laizistisch und Religion ist Privatsache. Fest steht nur, dass es viele sind. Und dass der Islam – mit je nach Schätzung 3 bis 5,5 Millionen Angehörigen – die zweitgrößte Religionsgruppe des Landes ist. Gleich nach den christlichen Kapellen und lange vor dem Judentum. Fest steht auch, dass der Islam in seinem Inneren in zahlreiche Gruppen zerfällt, von denen manche sich spinnefeind sind.

Tatsächlich hätte es kaum jemand für möglich gehalten, die drei großen sowie mindestens zwölf kleinere Föderationen der Muslime in Frankreich unter einen Hut zu bringen. Zwar sind fast alle Muslime in Frankreich Sunniten. Doch beten sie – wenn überhaupt – strikt getrennt. Je nach Herkunftsland ihrer Familien gehen sie in Moscheen für marokkanische, algerische, türkische, tunesische oder pakistanische Muslime. In manchen dieser Gebetssäle – vor allem den algerischen und den marokkanischen – stammen die Imame aus den Herkunftsländern der Gläubigen. Das Regime in Algerien schickt alljährlich dutzende Imame nach Frankreich, die aus Algier bezahlt werden. In anderen Gebetssälen walten Religiöse, die ihr Geld aus saudi-arabischen wahhabitischen Quellen beziehen.

Das Misstrauen zwischen den drei großen und mindestens zwölf kleinen muslimischen Föderationen in Frankreich hat im vorigen Juni dafür gesorgt, dass die Wahl zu einem Vertretergremium abgeblasen wurde. Der Chirac politisch nahe stehende algerische Rektor der großen Moschee von Paris, Dalil Boubakeur, blockierte sie im letzten Moment: Er befürchtete eine fundamentalistische Mehrheit.

Bei dem neuen Versuch, einen arbeitsfähigen Muslimrat zu gründen, beteiligen sich jetzt immerhin rund 1.100 von den offiziell registrierten 1.400 Gebetssälen in Frankreich. Die anderen machen nicht mit. Der bereits bestimmte erste Präsident des Muslimrates ist der Pariser Rektor Boubakeur. Doch wenn es irgendwann Wahlen gibt, dürfte die Mehrheit der Delegierten der Moscheen einen anderen Kandidaten wählen. Seine Basis bei den anderen Mitgliedern des Muslimrates ist schwach.

Ein Teil der liberalen muslimischen Bevölkerung Frankreichs fühlt sich von dem ganzen Rat nicht repräsentiert. Sie kritisieren, der Innenminister habe die fundamentalistischen Muslimbrüder zu ihren Sprechern gemacht. Die „muslimische Zivilgesellschaft bleibt ausgeschlossen“, beklagt der Präsident der „Demokratischen Muslimischen Bewegung“, Abderrahamane Dahmane.

Ein Teil dieser – ebenfalls untereinander vielfach gespaltenen – „Zivilgesellschaft“ versucht jetzt, eine Alternative zu Sarkozys Muslimrat auf die Beine zu stellen. Sie soll „Koordination der Muslime“ heißen.