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Archiv-Artikel

Lernen früher anfangen, selektieren später

Die Berater von McKinsey haben das deutsche Schulsystem durchleuchtet – und kritisieren dessen elitäre Philosophie

BERLIN taz ■ Sie haben das ZDF beraten. Die AOK wurde einer Kur unterzogen. Und selbst die katholische Kirche hat sich strategische Ratschläge bei den erfolgreichsten Unternehmensberatung weltweit abgeholt, der „Firma“, wie sie sich nennen. Jetzt hat der deutsche Ableger von McKinsey das Bildungssystem durchleuchtet und kommt zu einem überraschenden Schluss: Deutsche Kinder beginnen zu spät zu lernen, sie werden zu früh auf getrennte Schulen verteilt und sie stehen nicht im Mittelpunkt des Lernens. Gestern hat McKinsey, das in 40 Ländern Organisationen aller Art berät, seine Lernempfehlungen veröffentlicht.

Die Adepten von James Oskar McKinsey, einem Professor für Rechnungswesen in Chicago, der 1926 die Firma gründete, warten in ihrem neuen Gutachten mit einer Überraschung auf. Ihre Empfehlungen widersprechen den Konsequenzen der deutschen Bildungsbürokratie auf den „Pisa-Schock“ in einem zentralen Punkt: McKinsey kritisiert die „zu frühe Differenzierung der Schultypen“, also die Aufteilung von 10-jährigen Schülern auf Gymnasien, Real- und Hauptschulen.

Die Erkenntnisse widersprechen damit gleichzeitig der Elitephilosophie, die der deutschen Schule zugrunde liegt. Die Idee der Schule hierzulande zielt darauf, nur einen kleineren Teil der Kinder auf Gymnasien zu schicken und so homogene Elitegruppen zu bilden, die später die Universität bevölkern sollen. Obwohl McKinsey selbst größten Wert darauf legt, nur die Besten für „die Firma“ zu rekrutieren, schlagen sie den Bundesländern ein anderes Auswahlverfahren für die Schulen vor. „Es scheint notwendig, inhomogene Lerngruppen zu bilden. Dann müssen die Lehrer sich dem Einzelnen zuwenden“, sagte Nelson Kilius der taz. Der Berater gehört zum Projektteam „McKinsey bildet“, das die Daten der Pisa-Studie neu bewertete.

Bei einer Reform der Bildungseinrichtungen sei, so sagte Kilius, auf drei Formeln zu achten. Erstens: „Eine erfolgreiche Schule wendet sich an den einzelnen Schüler.“ Zweitens: „Schulen sollen selbst entscheiden, was sie machen – und dafür klare Rahmenvorgaben erhalten.“ Drittens: „Früh investieren statt spät reparieren.“

In der Praxis hieße das, die Grundschüler länger als nur bis zur vierten Klasse gemeinsam lernen zu lassen. Die Schulen selbst müssten Lehrer einstellen und ihre Lehrpläne stärker bestimmen dürfen. Zudem müsse der ersten Lernphase in Kindergarten und Grundschule „mehr Geld und mehr Aufmerksamkeit“ gewidmet werden.

McKinsey gilt als die wichtigste und erfolgreichste Unternehmensberatung der Welt. Nach der Boston Consulting Group ist sie die schon Zweite ihrer Branche, die die Elite-Idee der deutsche Schule grundsätzlich falsch findet. CHRISTIAN FÜLLER

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