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Archiv-Artikel

„Die Kongolesen wollen ein normales Leben“

MLC-Generalsekretär Olivier Kamitatu über das Friedensabkommen von Pretoria und die Stolpersteine der Umsetzung

taz: Am 17. Dezember vergangenen Jahres haben sämtliche Kriegsparteien und politischen Gruppen des Kongo in Südafrikas Hauptstadt Pretoria ein Friedensabkommen unterzeichnet. Ihre Bewegung MLC hat schon einmal im April 2002 einen Separatfrieden mit der Regierung von Joseph Kabila geschlossen, und dieses „Abkommen von Sun City“ wurde nicht umgesetzt. Wieso sollte man darauf hoffen, dass das „Abkommen von Pretoria“ umgesetzt wird?

Olivier Kamitatu: Weil es die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft hat. Alle Seiten haben Zugeständnisse gemacht. Niemand hat gewonnen. Das kongolesische Volk ist der Sieger.

Aber nur, wenn das Abkommen eingehalten wird. Viele Fragen bleiben ungeklärt, zum Beispiel die Sicherheit der Rebellenführer, die in Kinshasa in die Regierung eintreten sollen. Die UNO fühlt sich dafür nicht zuständig.

Es ist schwer vorstellbar, dass nach einem von Kofi Annan mitgetragenen Abkommen, in dem die internationale Gemeinschaft sich zur Sicherheit nicht nur der politischen Führer des Kongo, sondern zu der des gesamten Volkes bekannt hat, die UNO ihre Verantwortung nicht wahrnehmen will. Es wäre abenteuerlich, wenn die UN-Mission im Kongo nicht die Sicherheit jener garantieren würde, die das Land in Frieden und Harmonie wiederaufbauen wollen.

Frieden und Harmonie? Ihre MLC sowie eine Reihe anderer Rebellenarmeen liefern sich im Nordosten des Landes schwere Kämpfe, über 100.000 Menschen sind geflohen. Sogar ein Waffenstillstand, den die Beteiligten am 30. Dezember im MLC-Sitz Gbadolite schlossen, scheint nicht eingehalten zu werden.

Urheber dieser Ereignisse ist die Regierung Kabila. Teile ihrer Armee sind in die Stadt Beni gekommen, um die dort ansässige RCD-ML (Kongolesische Sammlung für Demokratie/ Befreiungsbewegung) zu unterstützen. Der Flughafen von Beni dient als Versorgungspunkt für Joseph Kabilas Verbündete im Osten des Kongo. Beni stellt für uns und andere in der Region eine Bedrohung dar. Indem wir uns am 30. Dezember auf einen Waffenstillstand eingelassen haben, wollten wir zeigen, dass wir das Friedensabkommen von Pretoria einhalten wollen. Hätten wir die RCD-ML, die das Abkommen von Pretoria mit unterzeichnet hat, militärisch zerschlagen, würden wir das Abkommen faktisch brechen. Wir suchen den Kompromiss.

Wenn wirklich einmal Frieden im Kongo einkehren soll, muss das Land eine geeinte Armee haben. Da gibt es bislang keine Fortschritte.

Die Vereinigung der verschiedenen Armeen des Kongo heißt zunächst, einen gemeinsamen Generalstab aus Mitgliedern aller Gruppen einzurichten. Dann müssen Aufgabe, Größe und Finanzierung dieser nationalen Armee geklärt werden. Erst dann können wir Soldaten identifizieren und jene demobilisieren, die für eine zukünftige nationale Armee ungeeignet sind. Treffen darüber zwischen den Generalstäben der verschiedenen Gruppen sind bereits geplant.

Aber eine Verschmelzung der verschiedenen Armeen ist nicht im Gespräch. Die Regierung will keine Rebellensoldaten in Kinshasa, und jede Gruppe bleibt militärisch dort, wo sie jetzt ist. Damit bleibt der Kongo geteilt, oder?

Ja, die Armeen bleiben erst mal dort, wo sie sind. Die Demobilisierung kommt erst nach den Schritten, die ich soeben nannte. Wir wollen keine übereilte Demobilisierung. Es nützt nichts, junge Leute ohne Geld und Zukunftsaussichten zurück in ihre Heimatdörfer zu schicken. Es wird eine Demobilisierung geben, sobald internationale Finanzhilfen dafür da sind und die Regierung der Nationalen Einheit steht.

Wird es dazu je kommen? Unterschätzen Sie nicht die Sabotagefähigkeit zum Beispiel der radikalen Anhänger Laurent Kabilas, die das Abkommen für einen Verrat halten?

Wer das Abkommen sabotieren will, soll es ruhig probieren. Dieses Abkommen gehört nicht uns Politikern, sondern 50 Millionen Kongolesen, die Frieden und ein normales Leben wollen. Und es gehört der internationalen Gemeinschaft. Der Kongo wird wiedervereinigt – ein Land, das im Herzen Afrikas einen Pol der Entwicklung und nicht mehr der Destabilisierung darstellt.

Glauben Sie, dass Joseph Kabila es ernst meint mit dem Abkommen?

Wir haben ihn immer als Übergangspräsidenten anerkannt. Nun muss er nicht mehr nur Führer einer Kriegspartei sein, sondern Staatschef. Wenn Kabila Geisel seiner Anhänger wird, trägt er die historische Verantwortung für den Zerfall des Kongo. INTERVIEW: FRANÇOIS MISSER