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Archiv-Artikel

Dürftige Aussicht

Die zweite Schauspiel-Saison des Intendanten Hans-Joachim Frey am Bremer Theater beginnt mit einer Plattitüde

Schon das Ödön von Horváths Drama „Zur schönen Aussicht“ offiziell als „Komödie“, als „Satire“ angekündigt wird, ist ein schlechtes Zeichen. Wenn auch die bedauerliche Wahrheit: Regisseur Christian von Treskow macht es einem sehr schwer, in seiner Inszenierung mehr zu sehen, als eine laute Klamotte, frei von jedem Tiefgang. Und so beginnt die neue, die zweite Spielzeit unter dem Intendanten Hans-Joachim Frey, handwerklich solide, aber weitestgehend gehalt- und mutlos.

„Zur schönen Aussicht“ nennt sich ein marodes Gebirgshotel, das nur von einer notgeilen, alkoholkranken, indes reichen alten Gräfin (sehr gut: Gabriele Möller-Lukasz) über Wasser gehalten wird. Das Personal hält sie sich als devote Lustdiener, den Hoteldirektor Strasser (mit Schwächen: Martin Baum) ebenso. Sich selbst haben all die Männer aufgegeben. Eines Tages bricht die junge Christine (überzeugend: Varia Linnéa Sjöström) in diese Gesellschaft ein – Strasser ist der abweisende Erzeuger ihres unehelich geborenen Kindes. In machoidem Zynismus rottet sich die Männergesellschaft gegen sie zusammen – bis sich herausstellt, dass sie reich geerbt hat. Nun wird sie zum Objekt der Begierde.

Horváth – der erklärtermaßen kein Satiriker sein wollte – siedelt sein Stück irgendwo zwischen der untergehenden K.u.K-Herrlichkeit und den „golden“ genannten Zwanzigern an. „Alle meine Stücke sind Tragödien“, schrieb er einmal, „sie werden nur komisch, weil sie unheimlich sind“. Horváths Ziel, die „Demaskierung“ des kleinbürgerlichen Bewusstseins, geht in dieser Inszenierung unter, nur selten blitzt die emanzipatorische Kraft des Stückes auf. Und selbst dann wirkt sie aufgesetzt, wird übertönt von Genuschel und Gebrüll. Von Treskow verzichtet völlig darauf, die Horváth’sche Vorlage mit aktuellen – oder irgendwelchen – Bezügen zu versehen. Dabei böten sich allerlei Interpretationen an, sie könnten von einer Gesellschaft zwischen Wirtschaftskrise und Verelendung handeln, vom aufkommenden Faschismus, von den Vorboten des Neoliberalismus, vom Werteverfall, von Emanzipation.

Doch nichts von alledem. Zugleich bleibt auch der historische Hintergrund des Stückes reichlich diffus. Davon zeugt schon ein wackliges Bühnenbild, das sich in liebloser Beliebigkeit erschöpft, dominiert vom übermächtigen Halbrund eines schwarz-weißen Lakens mit Alpenmotiv. Und Christian von Treskow knüpft lieber nahtlos an seine eher klamaukige – jedoch an der Theaterkasse erfolgreichen – Inszenierung von Tennessee Williams’ „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ aus der vergangenen Spielzeit an. Eine Entwicklung, die pessimistisch stimmt. Jan Zier

Nächste Termine: 26., 27., 28. September, 1., 3., 4., 9. Oktober