piwik no script img

Archiv-Artikel

Metaller gehen klauen

Die IG Metall ruft sich zur Bildungsgewerkschaft aus – und stiehlt damit den Kollegen der kleineren GEW die Show

BERLIN taz ■ Auf den ersten Blick wirkte es wie ein genialer Schachzug der Hans-Böckler-Stiftung. Der gewerkschaftsnahe Thinktank und Stipendiengeber versammelt wenige Wochen vor dem Bildungsgipfel Gewerkschaften zu einem Brainstorming in Berlin. „Das ist der Startschuss, um ein neues Leitbild für die demokratische und soziale Hochschule zu entwerfen“, verkündete Böckler-Geschäftsführer Wolfgang Jäger zuversichtlich. Doch hinter und vor den Kulissen wurden heftige Differenzen deutlich.

Spätestens als Regina Görner vom Vorstand der IG Metall ihr Hauptreferat hielt, trat das Schisma zutage. Görner, die Exlandesministerin aus dem Saarland und führende Bildungsfunktionärin der Gewerkschaften ist, donnerte: „Die IG Metall ist Bildungsgewerkschaft!“ Da grummelten die KollegInnen der GEW erst, dann wurden sie ganz blass. Denn „Bildungsgewerkschaft“ nennt sich ja die kleine GEW. Sie kämpft seit Jahren darum, vom Image als reine Lehrergewerkschaft wegzukommen. Nun macht die große IG Metall ihr den klingenden Namen streitig.

Bei den Differenzen geht es um mehr als einen Namensstreit. Der Akademiker- und Ingenieursmangel wird allenthalben als das akute Bildungsproblem von Hochschulsektor wie Wirtschaft angesehen. Dazu fiel Regina Görner ein, dass ab sofort pauschal alle ausgebildeten GesellInnen Zugang zur Hochschule haben müssten – egal ob Computertechniker oder Friseurinnen. Tatsächlich gilt es als Königsweg, vom dualen System der Ausbildung ins tertiäre der Hochschulen Brücken für exzellente Azubis zu schlagen. Aber als die GEWler eine differenziertere Strategie anmahnten, „um die Universitäten nicht sofort zu verschrecken“, wischte Görner das vom Tisch. Wie bei Tarifverhandlungen, sagte sie, müsse man erst mal mehr fordern, als man am Ende bekommt.

Richtig giftig gingen sich Metaller und GEWler außerhalb der öffentlichen Foren an. Die eher klamme GEW veranstaltet nämlich alljährlich Ende August einen Hochschulkongress – irgendwo in der Provinz, diesmal in Papenburg. Und die reiche IG Metall stiehlt ihr nun schon zum zweiten Mal mit einem teuren Kongress in den feinen Hotels der Hauptstadt die Show.

Und so droht sich ein Vorteil der Gewerkschaften zu einem Nachteil zu wenden. Die brennenden Themen, die auf dem Bildungsgipfel der Kanzlerin im Oktober verhandelt werden – Schulabbrecher, soziale Abhängigkeit des Bildungserfolgs, Akademikermangel, Lehrerimage – sind allesamt Gewerkschaftsthemen. Der DGB lädt auch zu einem Kongress unmittelbar vor dem Gipfel ein. Ob man sich bis dahin auf gemeinsame Leitlinien geeinigt hat, steht nun in den Sternen. CHRISTIAN FÜLLER