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Archiv-Artikel

46.220.320.800 Euro – die Sie bezahlen werden

Egal, wer regiert: Die Hauptstadt rast wie keine andere deutsche Stadt in die Schuldenfalle. Bezahlen müssen am Ende nicht nur die Berliner

BERLIN taz ■46.186.213.800 Euro – so hoch beziffert der Berliner Bund der Steuerzahler die aktuelle Verschuldung der Stadt. Wenn Sie diese Zahl lesen, ist sie allerdings schon wieder überholt. Um 200 Euro pro Sekunde wachsen durch Zins und Zinseszins die Schulden. Mehr als 10 Prozent der Ausgaben Berlins gehen direkt an die Banken. Als Zinsen. An Tilgung ist gar nicht zu denken. Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) erklärt zu dem von seiner Verwaltung erstellten Zahlenwerk lakonisch: „Der argentinische Haushalt ist von den Eckwerten her im Vergleich zu unserem durchfinanziert und solide.“

Die Schulden werden am Ende nicht nur die Berliner, sondern alle Steuerzahler begleichen müssen. Die Frage ist nur, welcher Modus für die unabwendbar anstehende Entschuldung Berlins gefunden wird. Der Senat von Klaus Wowereit (SPD) beschreitet dazu mehrere Wege. Immer mehr Berliner Inventar wird zur Hauptstadtausstattung deklariert und zum Bund bugsiert. Hier bieten sich vor allem Kultur und innere Sicherheit an. So finanziert der Bund den Umbau der berühmten Museumsinsel, soll sich auch an den drei Opern der Stadt beteiligen und die für Staatsbesuche und Ähnliches anfallenden Polizeikosten bezahlen. Viel kommt dabei nicht herum.

Ein Versuch der Berliner, ihre schwersten Altlasten mit historischen Erklärungen auf die Gesamtnation abzuwälzen, scheiterte: Das Finanzministerium mochte nicht einsehen, dass der horrend teure soziale Wohnungsbau der Westberliner Baumafia „Folge der deutschen Teilung“ sei. Jüngster Versuch, politische Legitimation für Transferleistungen zu erzeugen: Wowereit schlägt vor, der Bundespräsident möge eine Kommission einsetzen, die sich über „die Hauptstadtfunktion im föderalen System“ Gedanken macht. Rau zeigte sich wenig begeistert.

Am Ende wird Berlin klagen müssen. Wahrscheinlich zieht man in diesem Jahr vor das Bundesverfassungsgericht zur „Feststellung des Haushaltsnotstands“. Schon das Saarland und Bremen zwangen auf diesem Weg den Bund, zu ihrer Sanierung beizutragen. Ganz so wird es diesmal nicht laufen: Die Berliner Schulden sind so hoch, dass der Bund auf jeden Fall die anderen Bundesländer an der Tilgung beteiligen will. Experten meinen, praktikabler als ein ständiger Zuschuss wäre eine einmalige Übernahme des Löwenanteils der Schuldung – ähnlich dem Fonds „Deutsche Einheit“. Bis dahin können gut und gerne vier Jahre vergehen. Dann haben die Berliner vielleicht schon 60 bis 70 Milliarden Euro Schulden.

ROBIN ALEXANDER