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Archiv-Artikel

Einer hat gelogen

Ärztefunktionär Jörg R. auf der Anklagebank: Erst beteuert er, er habe nicht angestiftet zum Betrug und auch keinen Vorteil gehabt. Und dann zahlt er doch 10.000 Euro, um die Sache zu erledigen

Von Klaus Wolschner

Klar ist nur eines: Einer muss gelogen haben. Für die Staatsanwalt schien es eindeutig. Der Mann, der gestern auf der Anklagebank saß, sagt nicht die Wahrheit. Dr. Jörg R., immerhin Präsident des Bundesverbandes für Ambulantes Operieren e.V., Präsident der Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände (GFB), Vize-Präsident für „Niedergelassene Chirurgen“ im Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC), früher Vize-Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen (KV), ist ein ärztlicher Multi-Funktionär. Er soll, so die Anklage, den Geschäftsführer der Bremer Kassenärztlichen Vereinigung dazu angestiftet haben, zu seinen Gunsten den Rahmen, in dem seine Praxis medizinische Leistungen abrechnen darf, deutlich zu erhöhen – „mindestens“ 180.000 Mark sei der erhoffte Vorteil gewesen, erklärt der Staatsanwalt. Und das zu Lasten der anderen Ärzte – dies wiegt als moralischer Vorwurf gegen den Ärztefunktionär besonders schwer. Immerhin trage man auch große Verantwortung, wenn man solche Ehrenämter bekleide, sagt die Richterin. R. habe dem Ansehen der Ärzte, die unter dem Ruf leiden würden, ihnen ginge es nur ums Geld, schwer geschadet.

Der frühere KV-Geschäftsführer, der R. belastet hat, ist inzwischen tot, der Fall liegt acht Jahre zurück. Aber es liegt ein ausführliches Vernehmungsprotokoll von ihm vor. Jörg R. war damals der starke Mann im Hintergrund unter den Ärztefunktionären und der kommende Mann in der KV. Wegen seiner vielfältigen Verbandstätigkeit wollte Jörg R. eine zusätzliche Kraft in seiner Praxis einstellen und eine Erhöhung der „Punktezahl“ erreichen, in deren Rahmen die Praxis Patienten abrechnen kann. Die Idee, wie die Praxis zu der höheren Punktezahl kommen könne, stamme von Jörg R., hatte der verstorbene KV-Geschäftsführer der Staatsanwaltschaft berichtet.

Als der Fall damals aufflog, musste die gesamte Spitze der KV zurücktreten, der Geschäftsführer wurde fristlos gefeuert.

Jörg R. präsentierte sich vor dem Amtsgericht nun als Mediziner von der Sorte, die als „Halbgötter in Weiß“ etikettiert werden. Die Darstellung der Anklage sei falsch, er habe niemanden zum Betrug angestiftet, erklärte er dem Gericht. Damals habe er sich schon damit abgefunden, dass er für seine ehrenamtliche Tätigkeit auf Einkünfte verzichten müsse. Der KV-Geschäftsführer sei es gewesen, der an ihn herangetreten sei mit der Idee, die das Gericht als Betrug wertete. Auch in der Sache hat Jörg R. kein Schuldbewusstsein: Er streitet heute noch vor dem Landessozialgericht um den finanziellen Vorteil, der ihm damals eingeräumt wurde. Die KV hatte die Sonder-Punkte später widerrufen.

Die Sache sei acht Jahre her, der belastende Zeuge tot – ob er sich nicht eine Einstellung des Verfahrens gegen Geldbuße von 10.000 Euro vorstellen könne, versucht der Staatsanwalt eine Brücke zu bauen. Vor der Tür wartet die Justitiarin der KV, die damals schon auf das Betrugsmanöver hingewiesen hatte. Der Anwalt des Ärztefunktionärs versuchte kurz, die Summe der Geldbuße auf ein Drittel herunter zu handeln. Er könne ja in Raten zahlen, meinte die Richterin.

Das allerdings schien unnötig. Jörg R. wollte wissen, ob für die gestundeten Beträge Zinsen berechnet würden – dann hätte er offenbar direkt bezahlt. Da die Stundung zinslos ist, akzeptierte er gern die Raten. Der Strafbefehl hatte auf 360 Tagessätze gelautet.