Wahre Bildung. Oder Bildung als Ware

Endlich! Der Bundestag diskutiert die Folgen des Welthandelsabkommens Gats auf Schule und Hochschule. SPD, CDU und Grüne setzen auf den Staat als Qualitätsgaranten. „Protektionismus“, schimpft die FDP und will den „Bildungsmarkt“ öffnen. Attac: Ärmere können sich gute Bildung nicht mehr leisten

Attac: „Gats wird den Zugang zu den Bildungsinhalten verändern“

von MATTHIAS BRAUN

An diese Zeit erinnert sie sich gern. Zwei Jahre lang finanzierte sich Christine Kieser ihr Studium an der staatlichen Universität Leipzig, indem sie an der privaten Handelshochschule (HHL) als Hilfswissenschaftlerin jobte. „Die Kommilitonen an der HHL studierten unter Bedingungen, von denen wir an der Uni nur träumen konnten“, schwärmt die Kulturwissenschaftlerin. Bibliothekare halfen bei der Büchersuche, Dozenten waren jederzeit ansprechbar.

„Wenn ich heute vor der Wahl stünde, würde ich mich für eine Privatuni entscheiden“, sagt Kieser. Denn dort werde besser auf die Studenten eingegangen; an der Handelshochschule habe sie sich weniger „allein gelassen gefühlt“ als an der staatlichen Uni. Doch selbst wenn sie sich noch einmal entscheiden könnte, bleibt fraglich, ob die junge Frau jährlich 8.000 Euro übrig hätte. Das kosten zwei Semester an der Handelshochschule.

Die persönlichen Erfahrungen Kiesers finden sich als Bilder in der Debatte um die Qualität deutscher Hochschulen wieder. Den vermeintlich dahinsiechenden öffentlichen Unis wird das Schlaraffenland des Bildungskommerzes gegenübergestellt. Für die Bundesregierung ist das kein akademisches Thema mehr. Die laufenden Verhandlungen bei der Welthandelsorganisation (WTO) über das „General Agreement on Trade in Services“, kurz Gats, drängen den Kanzler und seine Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD), endlich eine verbindliche Antwort auf diese Frage zu geben: Wie viel Markt verträgt die deutsche Bildung? Denn darüber muss sich die EU mit ihren Verhandlungspartnern einigen, unter anderen die USA, Neuseeland und Australien.

Die Gespräche über die schöne neue, weil liberalisierte Dienstleistungswelt, zu der auch Bildungsangebote zählen, läuft bereits seit 1994 – hinter verschlossenen Türen. Öffentlich berät der Bundestag über Gats und Bildung morgen zum ersten Mal.

Dem Gats-Kritiker Christoph Scherrer kommt diese Aussprache zu spät. „Die Amerikaner wollen den deutschen und europäischen Bildungsmarkt nach ihrem Vorbild liberalisieren“, sagt Scherrer. Der Politologe, der unter anderem für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung Gats-kritische Studien schreibt, fordert seit langem eine öffentliche Diskussion.

Zu den Vorstellungen aus Übersee gehört, Deutschland solle sich von der Praxis verabschieden, allein staatliche Bildungseinrichtungen zu fördern. Sollte sich die EU als europäischer Verhandlungsführer vom so genannten „Subventionsvorbehalt“ verabschieden, sähe die Lage ganz anders aus: Dann hätten Privatunis einen Rechtsanspruch auf staatliche Alimentierung. Alles andere wäre dann Wettbewerbsverzerrung.

Scherrer sieht außerdem die Gefahr, dass der Staat die Qualitätskontrolle einbüßt – zum Beispiel beim Abitur. „Wenn man bereit ist, private Testdienste zuzulassen, wird sich das auf das Abitur auswirken“, meint der Gats-Kritiker. Der Trend, dass sich Hochschulen ihre Studenten selbst aussuchen können, lasse einen Markt für private Testfirmen entstehen. „Diese schaffen ihre eigenen Kriterien für den Hochschulzugang“, befürchtet Scherrer. Nicht mehr die Landesregierungen bestimmen dann, was für Abi und Studium zu lernen ist, sondern die Testfirmen.

Die Fraktionen von SPD und Grünen wollen morgen im Bundestag drei Forderungen erheben. Erstens: Der Staat formuliert die Qualitätsmaßstäbe in Sachen Bildung. Zweitens: kein freier Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Bildungsträgern. Und drittens: Staatliche Gelder für Bildung stellen keine „wettbewerbsverzerrende Subvention“ dar.

Hinter allen drei Punkten steht eine Koalition aus SPD, CDU und Grünen. Allein die FDP hätte es gern liberaler. „Wir denken nicht, dass die Qualitätssicherung beim Staat generell besser aufgehoben ist“, markiert der Bildungsfachmann der FDP-Bundestagsfraktion, Christoph Hartmann, die liberale Position. Die Uni-Situation zeige, dass Deutschland den falschen Weg gegangen sei. „Wer gut ausbildet, muss auch in Deutschland damit Geld verdienen können“, fordert Hartmann. Private Testdienste zuzulassen, hielte er für einen „Schritt in die richtige Richtung“ – der ihm nicht weit genug geht. „Deutschland muss seine protektionistische Politik aufgeben“, fordert Hartmann.

Da allerdings sind Rot-Grün und die CDU vor. Bildungspolitiker aller drei Fraktionen sind sich einig: Der „Subventionsvorbehalt“ darf keineswegs fallen. „Die Gleichbehandlung ausländischer Bildungsanbieter darf nicht so weit gehen, dass diese staatliche Subventionen beanspruchen können“, stellt zum Beispiel der Franktionsobmann der CDU für Bildung und Forschung, Thomas Rachel, klar. Bildung sei hierzulande „in seinem Grundangebot ein öffentliches Gut“. „Das darf nicht generell in Frage gestellt werden“, sagte Rachel zur taz. Dass die WTO beim Thema liberalisierter Dienstleistungsmarkt auch über Bildung spricht, findet Rachel aber richtig. „Wir haben keine Angst vor dem Thema“, so der CDU-Mann.

Grüne und sozialdemokratische Bildungspolitiker auch nicht. „Wir wollen eine Internationalisierung“, sagt Grietje Bettin, bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, „aber die Standards muss der Staat setzen.“ Das ist die Linie der antragstellenden Regierungskoalition. Zwischen privaten Bildungsträgern müsse Wettbewerb möglich sein. „Wir können uns nicht vollständig internationalem Einfluss verschließen“, so Bettin.

Der Sozialdemokrat Jörg Tauss will, dass die Grundausbildung eine staatliche Aufgabe bleibt. Kindergärten, Schulen und Universitäten sollen weiterhin von den Ländern kontrolliert werden. „Vor privaten Weiterbildungsangeboten und Testdiensten laufe ich aber nicht davon“, scherzt der Bildungssprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Die Globalisierungskritiker von Attac sehen die Debatte über Subventionsvorbehalt und Staatshoheit viel kritischer. „Gats wird auf lange Sicht den Zugang zu den Bildungsinhalten verändern“, warnt Thomas Fritz, Gats-Koordinator bei Attac. Zwar werden Lesen und Einmaleins auch künftig für wenig Geld zu haben sein. Wenn aber Aufbaustudiengänge und Masterprogramme nur auf dem freien Markt zu haben sind, würden Geringverdiener davon ausgeschlossen. „Ärmere werden sich die kreativen Lernangebote nicht leisten können“.

Unzufrieden ist Attac mit dem Bundestag. Im letzten Jahr noch habe die Enquetekommission der Regierung empfohlen, zunächst die Folgen der Globalisierung zu studieren. Die heutige Diskussion im hohen Haus falle hinter diese Empfehlung zurück.