: In die Wüste gestellt
Der aktuelle Entführungsfall in Ägypten stellt Reporter vor ein vertrautes Dilemma: Die Fakten sind dünn, das Interesse der Auftraggeber ist groß
AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY
Entführungen lösen bei den Medien immer einen enormen Durst aus, nicht nur wenn sie in der Wüste stattfinden. Vorausgesetzt natürlich, es handelt sich bei den Opfern um Bürger des eigenen Landes. Als Nahost-Korrespondent musste ich bereits über Dutzende Entführungen berichten, verschleppte deutsche Motorradfahrer im Jemen, Susanne Osthoff und die Ingenieure René Bräunlich und Thomas Nitzschke im Irak, zwei Österreicher in der tunesischen Wüste und jetzt eben über die 5 Deutschen, die zusammen mit 15 anderen Teilnehmern einer Wüstensafari verschleppt wurden.
Das Dilemma des Reporters ist dabei stets das gleiche: Die Faktenlage ist dünn, die Nachfrage seiner Auftraggeber groß. Also wird viel spekuliert. Haben die Entführer Verbindung zu al-Qaida, ist Ägypten ein sicheres Reiseland, wo sind die Entführten genau und was fordern die Kidnapper eigentlich? Und weil stündlich berichtet werden muss, nimmt der Gegenstand immer neue Formen an. Berichte über frühere Anschläge militanter islamistischer Gruppen in Ägypten etwa wecken die Assoziation, dass es sich auch im aktuellen Fall um um einen Terrorakt und nicht um die Tat einer kriminellen Bande handelt.
Fakt ist, dass eine Gruppe von 11 Touristen und ihre 8 ägyptischen Begleiter verschleppt wurden. Wir wissen nicht, von wem, wir kennen die Forderungen der Entführer nicht, wir wissen nicht einmal genau, wer mit wem verhandelt.
Bei Entführungen mit politischen Hintergrund tauchen die Opfer meist nach ein paar Tagen in einem Video bei al-Dschasira oder im Internet auf. Kriminelle melden sich wie auch im aktuellen Fall per Satellitentelefon. Die Kommunikation zwischen Entführern und Unterhändlern beginnt, und die Medien sind stets Teil der Verhandlungsstrategie. Staatliche Unterhändler wollen die Medien möglichst heraushalten, zugleich aber den Eindruck erwecken, etwas zu unternehmen. Die Entführer suchen dagegen möglichst viel Öffentlichkeit, denn mit einem Fall in den Schlagzeilen lassen sich die politischen oder finanziellen Forderungen in die Höhe treiben.
Unterstützt werden sie dabei auch von den Spekulationen der Medien über die Höhe des geforderten Lösegeldes – für die Unterhändler ein Alptraum. Denn die in Deutschland kolportierten Summen finden sich am nächsten Tag auch in der arabischen Presse wieder und werden für die Entführer zur Verhandlungsbasis: Ihr schreibt fünf Millionen, also verlangen wir sieben.
Bei aktuell frischen Entführungen in fernen Ländern treibt dann vor allem die Suche des Fernsehens nach vermeintlicher Nähe zum Objekt oft bizarre Blüten. Als zwei Salzburger im März in der tunesischen Wüste verschleppt wurden, entsandte das österreichische Fernsehen einen Reporter in ein kleines Oasendorf, von wo aus er, stets neben dem Ortsschild stehend, berichtete. Mehr Informationen als die Redaktion in Wien hatte er nicht, die Geiseln waren schon tausende Kilometer weiter nach Mali verschleppt worden. Mittlerweile ist der Reporter längst wieder zu Hause und berichtet über anderes. Die immer noch entführten Österreicher wurden buchstäblich in der Wüste vergessen.
Die aktuelle Entführung fand im Gilf el Kebir statt, einem der entlegensten Wüstenlandstriche der Welt, viele hundert Kilometer vom Niltal entfernt. Wie berichtet man also vom Ende der Welt?
Indem man sich in der südägyptischen Stadt Assuan aufbaut. Mehr Informationen als in Kairo werden die Reporter dort nicht bekommen. Die Stadt Assuan hat nichts mit der Geschichte der Entführung zu tun. Die Reisenden waren in der Oase Dakhla zu ihrer Wüstentour aufgebrochen, und selbst die zuständige Provinzverwaltung befindet sich ganz woanders. Und die meisten Informationen zur Entführung gibt der Tourismusminister und der sitzt in Kairo. Aber es sieht einfach zu gut aus, wenn der Reporter mit dem Nil im Rücken für die Zuschauer im arabischen Kaffeesatz liest.