: Ansätze von Ausrastern
Zwischen Landluft und Großstadt, Bubblegum-Pop und Kunstschaffe: Console, das Popwunder aus der bayrischen Provinz, präsentierten im ColumbiaFritz ihre neue Platte, gaben die homogene Band und am Ende auch eine Zugabe nach der anderen
von ANDREAS HARTMANN
Alle würden immer zuerst über die Frisur und die Brille schreiben, wenn es um Martin Gretschmann aka Console gehen würde, schrieb jüngst die Zeit. Über ein Hintertürchen machte die Zeit damit auch nichts anderes als all die anderen. Geht halt nicht anders. Was bei ZZ-Top die Bärte sind, ist bei Martin Gretschmann die unschlagbare Frisur/Brille-Kombination: Mit der Mähne wäre er bei jedem Europe-Sänger-Lookalike-Contest mit dabei, mit der Hornbrille würde er sofort wieder ausgeladen werden.
Natürlich weckt jemand, der sich so wenig um Ausseh-Normen kümmert, sofort sämtliche Sympathien. Er wirkt so rührend tollpatschig, und man weiß sofort, so einer kann trotz seiner Erfolge nur Antistar werden. Man könnte zwar Martin Gretschmann vorwerfen, dass er die Sache mit seinem Image etwas übertreibt: Es sieht einfach beknackt aus, wie er auf dem Cover seiner neuen Platte „Reset the preset“ im Motörhead-T-Shirt und mit einem Flying-V-Sondermodell posiert, einem Bastard aus Gitarre und PC, den es in Wahrheit natürlich gar nicht gibt. Andererseits: Gretschmann muss einfach zurückhaltend sein. So eine Rolle kann man einfach nicht dauernd spielen.
Um die Aufmerksamkeit etwas von seiner Person abzulenken, besteht Console nunmehr nicht allein aus Martin Gretschmann, dem nerdigen Soundtüftler von Notwist, sondern ist eine Band geworden. Was sich auch im Berliner Konzert widerspiegelte. Da stand auf der Bühne nicht der schlaksige Gretschmann als Tastenwizzard mit fliegender Haarpracht, der nur von seinen Handlangern umrahmt wird, sondern vom Schlagzeuger bis zum Bassisten wirkte die Truppe äußerst homogen. Was wiederum auch am Äußeren lag. Die Geschichte vom Aufstieg des Weilheimer Popwunders ist hinreichend kolportiert worden, dass die energetischste Musikszene dieses Landes aus einem bayrischen Kuhkaff kommt.
Das eigentlich Famose an Console aber ist, dass auch nach dem Sprung in den internationalen Indie-Pop-Jet-Set die eigenen Wurzeln nicht gekappt wurden. So wie die Jungs von Notwist immer noch so aussehen wie Tübinger Theologiestudenten, wirkt die ganze Band Console mit ihrem unprätentiösen Auftreten und den vereinzelten Pferdeschwänzen immer noch wie eine dieser Nachwuchsbands, die bei den dörflichen Bierfesten in die Musikmuschel gestellt werden.
Auch die neue Console-Sängerin, Miriam Osterrieder aus Weilheim, verströmte nicht gerade Glamour und wirkte eher wie eines dieser Indie-Girls, die auf Evan Dando stehen. Zwischen Landluft und Großstadt, Rock und Elektronik, Bubblegum-Pop und Kunstschaffe bewegen sich Console, eine klar umrissene Identität haben sie nicht.
Das ist auch das Dilemma der soeben erschienenen neuen Platte, die gleich eine Doppel-CD werden musste. Um somit auf die erste CD Indie-Elektronik mit Mitgeh-Beats packen zu können, während die nicht enden wollende zweite CD Ambient-Elektronik auffährt, die vor allem durch ihre außerordentliche Abwechslungslosigkeit auffällt. Dieses einigermaßen krude Albumkonzept reicht aus, um vom Prinz ungefragt den „Album des Monats“-Stempel aufgedrückt zu bekommen, aber nicht, um wirklich zu begeistern. So ähnlich war es dann auch auf dem Konzert.
Im übervollen ColumbiaFritz gingen alle schön brav mit, man macht schon mal „Uh“ und „Ah“ und demonstrierte bei einem Hit wie „Zero, Zero“ sogar Ausrast-Ambitionen, aber im Großen und Ganzen verwirrten die dauernden Stilbrüche von Console doch eher. Es fehlte so etwas wie ein Fluss. Am Ende war die Begeisterung dann auch bestimmt nicht überirdisch, und trotzdem legten Console eine Zugabe nach der anderen nach.