: Mehr oder weniger verunreinigt
Eine vom BUND beauftragte Studie konstatierte: In relativ vielen Lebensmitteln finden sich geringe Spuren von gentechnisch veränderter DNA. Verbraucher haben demzufolge „keine richtige Wahl mehr“. Das Europaparlament könnte das ändern
von FABIAN ZAMORRA
Auch mit Süßigkeiten kann man auf die Nase fallen: Der Lebensmittelkonzern Nestlé musste vor einigen Jahren nach Protesten von Verbrauchern und Umweltschützern seinen Schokoriegel „Butterfinger“, der gentechnisch veränderten Mais enthalten hatte, wieder vom Markt nehmen. In Europa gibt es keine Akzeptanz für gentechnisch veränderte Lebensmittel.
Ganz so leicht haben es Umweltschützer und Verbraucher heute aber nicht mehr, wollen sie erkennen, ob das Wiener Würstchen, der Kartoffelsalat oder das Brot tatsächlich frei von künstlich veränderten Genen ist. Besonders Mais und Soja aus den USA sind mit hoher Wahrscheinlichkeit gentechnisch manipuliert, in anderen Lebensmitteln aus dem außereuropäischen Ausland finden sich häufig Spuren gentechnisch veränderter Organismen (GVO) in der Nahrung. Welche Chancen in Zukunft Verbraucher haben, gentechfreie Lebensmittel zu kaufen, hat eine Studie untersucht, die das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBl) und das Öko-Institut Freiburg im Auftrag des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) unlängst angefertigt haben.
In einem ersten Schritt beleuchtet die Studie die Kontaminationspfade, also die Wege, auf denen genetisch veränderte Organismen in die Landwirtschaft oder die Lebensmittelproduktion eindringen können. Auch wenn bislang die meisten Unternehmen versuchen, keine GVO-Rohstoffe einzusetzen, sind in der Europäischen Union allein zehn verschiedene gentechnisch veränderte Pflanzen zugelassen. Eine Folge zeigen die Forscher auf: Insgesamt würden in relativ vielen Lebensmitteln geringe Spuren von gentechnisch veränderter DNA gefunden, wobei sich die Werte unterhalb von 0,1 Prozent bewegten.
Eine gentechnische Verunreinigung durch technische Prozesse könne allerdings durch eine „vollständige Trennung der Warenströme und der Transport- und Verarbeitungseinrichtungen für GVO-haltige und konventionelle Produkte“ vermieden werden, meinen die Wissenschaftler. Diese Trennung müsse sich über Erzeugung, Handel, Futtermittelherstellung, Lebensmittelverarbeitung und chemische Industrie erstrecken.
Um eine biologische Kontamination, etwa durch Pollenflug, zu vermeiden oder zu verringern, raten die Verfasser der Studie dazu, Sicherheitsabstände zwischen Anbauflächen mit GVO-freien Kulturen und Feldern mit gentechnisch veränderten Pflanzen einzuhalten. Außerdem sollte die Bewirtschaftungsweise geändert werden, indem etwa die Fruchtfolge oder die Aussaattermine variiert werden. Schließlich könnten gentechnikfreie Zonen als „Schutzgebiete“ dienen.
Der BUND als Aufraggeber der Studie hält den Einsatz gentechnisch veränderter Organismen grundsätzlich für riskant: „Das ist ein Schritt, den man nicht zurückgehen kann“, sagt Philipp Prein, Pressereferent des Umweltverbandes. Sobald die gentechnisch veränderten Pflanzen sich mit der restlichen Flora vermischten, würden sie endgültig in die Nahrungskette eindringen. Damit wachse unter anderem die Gefahr von Antibiotika-Resistenzen oder Allergien bei Menschen (siehe Seite V).
Besonders die ökologische Landwirtschaft wäre existentiell bedroht, wenn in Biokartoffeln oder Ökomilch Spuren von Genmanipulationen nachzuweisen wären. Die Forderung des BUND: „Die Gentechnikindustrie muss für Kontaminationen haftbar gemacht werden“, so Prein. Biobauern, deren Produkte von manipulierten Genen durchdrungen sind, könnten dann Schadenersatz verlangen.
Die Skepsis von Landwirten gegenüber dem Einsatz der Gentechnik scheint nicht nur bei Biobauern ausgeprägt zu sein: 7 von 10 Landwirten in Deutschland sind gegen Gentechnik auf dem Acker“, teilte die Umweltschutzorganisation Greenpeace mit, die im vergangenen Jahr eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben hatte. 70 Prozent der Bauern wollten kein genmanipuliertes Saatgut anbauen und 72 Prozent kein Genfutter für ihre Tiere kaufen. Ebenso viele Bauern wollen informiert werden, wenn benachbarte Landwirte Genpflanzen aufbauen. Ein klares Votum.
Die europäischen Agrarminister haben sich kürzlich darauf geeinigt, dafür zu sorgen, dass Verbraucher zukünftig Genlebensmittel klar von herkömmlicher Nahrung unterscheiden können. Lebensmittel und Tierfutter, die mehr als 0,9 Prozent Anteil an gentechnisch veränderten Organismen enthalten, müssen als Genlebensmittel ausgezeichnet werden. Die EU-Kommission wollte erst ab einer Grenze von 1 Prozent kennzeichnen, das Europäische Parlament hatte sich für einen Grenzwert von 0,5 Prozent ausgesprochen. Für Bundesverbraucherministerin Renate Künast (Grüne) ist die Kennzeichnungspflicht ein „Meilenstein für Verbraucher und Landwirte“, die eine „dauerhafte Wahlfreiheit“ zwischen herkömmlichen und gentechnisch veränderten Produkten ermögliche. Weniger euphorisch sind Umweltverbände wie der BUND. „Das Recht der Verbraucher auf gentechfreie Lebensmittel wurde leider geopfert“, kritisiert BUND-Vorsitzende Angelika Zahrnt die Einigung der Agrarminister. Konsumenten könnten in Zukunft nur noch zwischen mehr oder weniger gentechnisch verunreinigten Lebensmitteln wählen. Aber genau das sei dann „keine wirkliche Wahl mehr“. Eine Wahlfreiheit haben indes die Abgeordneten des Europaparlaments: Sie werden voraussichtlich im Frühjahr über die Grenzwerte abstimmen.
Die Studie „Bleibt in Deutschland bei zunehmendem Einsatz der Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion die Wahlfreiheit auf GVO-unbelastete Nahrung erhalten?“ steht im Internet unter www.bund.net