: Rote Leidenschaft in karger Natur
Im Südwesten Frankreichs ist der Weinbau im Aufbruch. Das Roussillon ist eine der spannendsten Rotweinregionen Europas und noch ein Geheimtipp. Die neue Winzergeneration entfaltet das Potenzial der Region
von TILL DAVID EHRLICH
Die Sonne brennt auf der Haut, Wind schneidet ins Gesicht. Es ist heiß, aber man spürt die Hitze nicht. Eher ein Frösteln. Unser Jeep holpert über Geröll. Mamor und Schiefer, schwarz und weiß. Ein karger Landstrich. Hinter uns das Mittelmeer, vor uns die Pyrenäen. Je weiter wir den unbefestigten Weg fahren, desto einsamer die Gegend. Links und rechts ducken sich Rebstöcke flach gegen den Wind. Es ist ein kalter, trockener Wind. „Taramontane“ nennen ihn die Katalanen. Er sorgt dafür, dass die Trauben trotz Hitze langsam reifen und so ihre Frische bewahren. Unablässig weht der Wind vom Massiv des Pic Canigou. Das dunkle Gebirge wirkt fast bedrohlich, nur der Gipfel leuchtetet schneeweiß, fast 2.800 Meter hoch über dem Meer.
„Die Steine prägen unseren Wein“, sagt Denis Ferrer knapp und stoppt den Wagen an einem spärlich bewachsenen Geröllfeld. Das ist der Weinberg. Der Boden ist rot und mit Steinen übersät. Stolz zeigt der 38-jährige Winzer, früherer Rugby-Profi, uns den kargen Weinberg. Man kann sich kaum vorstellen, dass hier einige der aufregendsten Weine des Roussillon wachsen. Es ist eine Weinregion, die seit etwa zehn Jahren einen beispiellosen Aufbruch erlebt. Winzer wie Ferrer treiben den Aufbruch voran.
Ein rastloses Streben nach Qualität hat die Weinregion aus dem Schlaf gerissen. Hier, unweit der spanischen Grenze, zwischen Meer und Gebirge, ist seit Mitte der Neunziger eine neue Winzergeneration angetreten, das bislang ungenutzte Potenzial des Gebiets zu entdecken. Lange war das Roussillon als Anhängsel des Languedoc bekannt für rustikale Massenweine. Hohe Erträge waren wichtiger als Qualität. Rot und billig mussten die Weine sein. Das war gestern. Heute gibt es immer mehr spannende Weine – auch weil die Region noch nicht etabliert ist.
Die Kellerei von Denis Ferrer ist kein romantisches Gewölbe, wie es Touristen lieben. Eher ein Schuppen, funktional und schlicht ausgestattet. Ohne Schnickschnack. Der Wein steht im Mittelpunkt. Vor zehn Jahren gründete Denis Ferrer das Weingut zusammen mit seinem Kumpel Bruno Ribière. Der 44-jährige Ribière ist das Gegenteil von Ferrer. Kein Rugbyspieler, sondern ein Dichter. Früher arbeitete er in einer PR-Agentur. Weil der Job ihn nicht ausfüllte, stieg er aus und beschloss, Wein zu machen, zusammen mit Denis Ferrer. Die beiden sind in ihrer Gegensätzlichkeit ein perfektes Paar. Das Yin und Yang des Roussillon-Weins. Der Rugbyspieler schuftet im Weinberg, der Poet kümmert sich um den Ausbau der Weine. Das Ergebnis sind komplexe Rote, die Gegensätze harmonisch vereinen. Eigenschaften, die den Charakter der Gegend auf den Punkt bringen: die Kraft der Steine, die Frische der Berge, die Wärme des Südens.
Die neuen Weine aus dem Roussillon sind in Deutschland selbst unter Weinliebhabern noch weitgehend unbekannt. Das macht sie auch preislich interessant. Da sie handwerklich und in kleinen Mengen hergestellt werden, sind sie ein Nische für kleine Fachhändler, die sich gegen die Marketingmuskeln der Handelsketten und Grossisten behaupten müssen. Für den Berliner Weinhändler Andreas Schichel ist Roussillon zudem eine geschmackliche und preisliche Alternative zu den oft überteuerten Rotweinen aus der Toskana und dem Priorat. Und der Freiburger Weinhändler Horst Gessner hat sogar sein Bordeaux-Sortiment zugunsten von Roussillon reduziert. „Das sind keine Modeweine“, konstatiert er. Es seien vielmehr ehrliche Weine, die harmonisch schmecken, ohne gefällig zu sein. Und Andreas Schichel, seit zwanzig Jahren ein passionierter Südfrankreich-Kenner, schätzt an den neuen Roten aus dem Roussillon „das Oszillieren zwischen südlicher Fülle und Eleganz.“
Die Weinberge des Roussillon strecken sich bis zum Mittelmeer hin. Uralte Weinbergterrassen grenzen unmittelbar ans Meer. Sie sind aus gelbem Schiefer gebaut. Anders als in den Bergen weht feuchter maritimer Wind, der die Weine opulenter und wuchtiger wachsen lässt. Vor über 2.700 Jahren brachten griechische Seefahrer den Weinbau hierher. Bis heute gibt es im Roussillon uralte Rebsorten wie etwa Carignan, Grenache und Macabeu. Ein Reiz jenseits internationaler Modesorten, Cabernet Sauvignon, Syrah und Chardonnay. In den touristischen Orten an der Küste gibt es ordentliche Rote wie den Collioure. Aber die Spannung aus Frische und Fülle findet man intensiver im kühlen Gebirge.
Nur wenige Kilometer nördlich von Perpignan, der Hauptstadt des Roussillon, ist man in einer vergessenen Welt. Hier markiert der Gebirgszug des Corbière die natürliche Grenze zum Languedoc. Steil steigt die Straße nach Vingrau an. Sie führt über ein Gebirgsmassiv in ein riesiges Tal, den Cirque de Vingrau, einen zirkusartigen Kessel aus Felsen. Auf Felsplateaus wachsen hier die Reben von Jean Gardiés. Im Kessel sind die Reben vor Wind geschützt. Die Hitze „kocht“ die Trauben. Zugleich spenden die Felsen reichlich Kühle. Der Höhenunterschied der Weinberglagen beträgt 350 Meter. Ein idealer Ort für individuelle und außergewöhnliche Weine.
Auch im Kessel von Vingrau blieb das Potenzial der Natur lange Zeit ungenutzt. Jean Gardiés führt das Weingut in der dritten Generation. Aber erst Jean hat vor einigen Jahren begonnen, die Weine auch selbst auszubauen und zu vermarkten. Sein Vater hat noch Fassweine hergestellt, überwiegend süße Weine, die an große Abfüller verkauft wurden. Die stellten daraus süßen Aperitif her – billige Industrieweine. Als vor 15 Jahren der Markt zusammenbrach, mussten viele Winzer umdenken.
Das Weingut von Jean Gardiés liegt in einer engen Gasse. Kein Schild weist auf es hin. Von einem blauen Holztor blättert die Farbe ab. Drauf steht mit Kreide geschrieben: „Domaine Gardiés“. Die Schrift ist verwischt. Jean Gardiés will offenbar nicht entdeckt werden. Zumindest nicht von Touristen. Seine Weine sind schnell ausverkauft. Gardiés gehört zu den Erneuerern des Roussillon-Weines. Er verfolgt sein Qualitätsphilosophie mit einer Kompromisslosigkeit, die dort noch selten ist. „Ich mache keine Modeweine“, betont er, „sondern Weine mit Charakter, die nicht jedem gefallen müssen.“ Auch Gardiés war Rugbyprofi, bevor er Winzer wurde. Der 45-Jährige strotzt vor Selbstbewusstsein. Er steht im Sweatshirt zwischen Tanks und Fässern – nüchterne Strenge prägt die Kellerei. Alles konzentriert sich auf die Weinbereitung. Erst 1995 begann Gardiés damit, seine Weine selbst auszubauen. Er tut dies mit dem Ehrgeiz, es allen zu zeigen. Und stellt sie neben die Bordeaux-Spitzenweine.
Sein größtes Kapital ist indes nicht die Technik der Kellerei, es sind die erstklassigen Weinberglagen im Felsenkessel von Vingrau. Die dort wachsenden Reben sind teils mehr als hundert Jahre alt. Sein Ziel sind höchst indviduelle Weine, die strikt handwerklich erzeugt werden. Dies kann er nur im Einklang mit der Natur erreichen. Aus denselben Reben, die sein Vater zu billigem Süßwein verarbeitete, keltert Jean atemberaubende Rotweine. Es ist der Stoff, aus dem rote Weinträume sind. Die Weine strotzen vor Kraft und überbordenden Aromen. Zugleich sind sie von Eleganz und mystischer Tiefe geprägt. Es wird viel an französischen Weinen gemäkelt, nicht zuletzt an überteuerten Bordeaux-Weinen. Hier im Felsenkessel von Vingrau findet vielleicht die Erneuerung des französischen Rotweins statt.