Karriere mit Steinschleuder

David gegen Goliath: War das mehr als ein biblischer Mythos? Vom Kampf eines Hänflings gegen einen Rambo zehren bis heute alle Mühseligen und Beladenen. Anmerkungen zu einer Legende

von PHILIPP GESSLER

Die Geschichte ist nicht totzukriegen: Da rüstet sich ein Wüstendiktator gegen eine militärische Supermacht für einen aussichtslosen Krieg – und schon ist die Metapher von „David und Goliath“ zu hören. David Saddam? Eine Ökoinitiative tritt zur Münchner Stadtratswahl an – und nennt sich „David gegen Goliath“. Ein Film ward „David und Goliath“ genannt. Er handelt vom „Aufstand gegen die Globalisierung“ und sorgt bei Attac-Gruppen, etwa in Marburg oder Regensburg, für die rechte Empfindsamkeit den Mächtigen der Welt gegenüber. Aber worum kämpften David und Goliath tatsächlich?

Überliefert ist beider Geschichte in der Bibel (1 Samuel 17,1–58). Sie zählt zu den beliebtesten in diesem Buch der Bücher, selbst bei jenen, die mit ihm selbst nichts anzufangen wissen. Unter dem Stichwort „David und Goliat/Goliath“ sind mit Hilfe der Internetsuchmaschine Google über 120.000 Einträge im weltweiten Datennetz zu finden; unter dem Schlagwort „Achill und Hektor“, dem großen Zweikampf in der „Ilias“ des Homer, sind derer nur etwa 440 notiert.

Was ist dran an der Abenteuergeschichte, die wohl mehr als 2.900 Jahre alt ist? Zunächst: Der spätere König David hat wahrscheinlich nie gegen einen Goliath gekämpft – es war, wenn überhaupt, dann eher der israelitische Krieger Elhanan, der Sohn des Jaïrs aus Bethlehem, ein Kämpfer König Davids. Dem Bericht der Bibel nach (2 Samuel 21,19) soll er irgendwann zwischen dem Jahr 1000 und 961 vor unserer Zeitrechnung bei Gob einen Philister aus Gat im Westjordanland erschlagen haben: Goliath eben, dessen Name übersetzt „Der zur Leibwache Gehörende“ bedeutet. Der Philister, so die Überlieferung, hatte einen Speer, der „einem Weberbaum glich“. Mehr wissen wir weder über Elhanan noch über Goliath.

Doch diese schlichte Geschichte wurde auf König David übertragen und ausgeschmückt, und wer die theologischen, vor allem aber die politischen Implikationen der Erzählung näher betrachtet, versteht schnell, warum: Der weltberühmte Kampf Davids gegen Goliath ist angesiedelt am Anfang der Königszeit in Israel, einer Epoche dauernder Kriege gegen die Philister.

Die Philister waren ein Volk mediterranen Ursprungs, das eine Hegemonie im Westjordanland etablieren konnte und sich nicht, wie später die Israeliten, mit den benachbarten Kanaanitern zu arrangieren suchte. Unter dem ersten König Israels, Saul, gelang zwar die Verdrängung der Philister aus israelitischem Gebiet – aber die beanspruchten es weiterhin.

Die Philister waren politisch und waffentechnisch fortschrittlicher als die Israeliten. Sie verfügten in dieser Spätphase der Bronzezeit schon über Eisen (was die Israeliten für ihr Pflüge und Waffen brauchten, aber noch nicht herstellen konnten). Während die Israeliten lediglich ein nur schwaches Volks-und-Bauern-Heer aufzustellen vermochten, hatten die Philister Berufskrieger in ihren Reihen. Israel hatte den Philistern keine entwickelte Staatsorganisation entgegenzusetzen. Die Anarchie der so genannten Richterzeit war gerade erst mit Saul zu Ende gegangen.

In dieser fragilen Lage kommt es zu einem Zusammentreffen der beiden Heere der Philister und Israeliten – angeblich etwa zwanzig Kilometer westlich von Bethlehem und wohl in einem Tal, womöglich an einer strategisch wichtigen Straße. Die Truppen stehen sich zunächst kampflos gegenüber, ehe Goliath auftritt: Der Überlieferung nach ist er 3,25 Meter groß. Der legendäre Krieger trägt eine sechzig Kilogramm schwere Rüstung. In der Hand hält er einen Speer, dessen Spitze allein knapp sieben Kilo gewogen haben soll. Kurzum: Er ist mit modernster Wehrtechnik ausgestattet, gewiss mit dem Besten, was die Waffenschmieden des Orients zu bieten haben.

Der ungeschriebene Text dieser märchenhaften Beschreibung ist offenbar: Dieser Mann ist nicht zu schlagen.

Angeblich vierzig Tage lang, biblischem Verständnis nach also ewig, verhöhnt Goliath die Israeliten: Und hier beginnt der politische Aspekt der Geschichte. Hohnreden vor dem Kampf gehörten damals (wie ja auch heute) zum Geplänkel vor einer Schlacht. Die Schmähungen sollten im wahrsten Sinne des Wortes verletzen. Sie zählen zur ersten Phase im Kampf. Die gaben die Israelis verloren, denn dem Spott Goliaths konnten sie angsthasig nichts entgegensetzen.

Goliath fordert die Israeliten schließlich auf, einen ihrer Krieger zum Zweikampf zu stellen. Seine Aufforderung ist gespickt mit Sticheleien gegen König Saul und die Israeliten, die er „Knechte“ nennt, während Goliath wohl einer Art Kriegeradel angehört: „Wählt euch doch einen Mann aus!“, ruft er.

Angesprochen fühlen müsste sich eigentlich der „Erwählte“ des Herrn, König Saul. Er jedoch, wenngleich kampferprobt, kneift. Schlimmer noch: Goliath macht sich obendrein über die „Schlachtreihen Israels“ lustig, die nicht zum Kampf bereit seien. Wie kann ein unbeschnittener Verehrer toter Götzen ungestraft den Gott Israels verhöhnen?! Saul, der alle Israeliten um einen Kopf überragt haben soll, greift aber immer noch nicht zur Waffe.

In diesem Moment tritt David aus Bethlehem auf, der jüngste von acht Söhnen, was so viel heißt wie „das fünfte Rad am Wagen“. Er kommt vom Stamm Benjamin. Benjamin war einer der Stammväter des jüdischen Volkes, auch er das jüngste von zwölf Kindern. Gleichwohl sollte dieser Stamm Benjamin der Überlieferung nach den Messias hervorbringen. Davids Vater Isai hat seinen Jüngsten zu dessen Brüdern geschickt, damit er ihnen Proviant bringt – üblich in einem Bauernheer. Das Schlachtgeschehen fasziniert David, wie anschaulich geschildert wird, und für kurze Zeit vergisst er gar seinen Auftrag.

Der scheinbar naive Hirtenjunge überblickt die Lage und tut Unerhörtes, etwas, was die Wehrkraft der Israeliten zersetzt: Er fragt, warum niemand etwas tut, und das heißt: Warum tut Saul nichts? Tatsächlich hat der König, statt selbst Leib und Leben zu riskieren, lediglich einen Preis für jenen Krieger ausgelobt, der Goliath zu besiegen vermag: Der dürfe seine Tochter Mikal ehelichen – ohne Brautpreis! (Die zusätzlich gewährte Steuerfreiheit scheint später hinzugedichtet worden zu sein, um den Kampf [noch] attraktiver zu machen.)

Die demoralisierenden Fragen Davids sind es wohl, die dafür sorgen, dass ihn sein ältester Bruder Eliab anschnauzt, obwohl der Kleine ihm doch gerade Proviant mitgebracht hat. David mimt den Unschuldigen: „Was habe ich denn jetzt wieder getan? Ich habe doch nur gefragt.“ Hier erscheint eine dunkle Seite des angeblich blonden David mit seinen schönen Augen und der wohlgeformten Gestalt (die Schönheit Davids wird übrigens zweimal betont: 1 Samuel 16,12 und 17,42). Eliab wirft ihm vor, er sei böse und keck, wie er das ja von ihm kenne. Dass König Saul den Jüngling dennoch in sein Zelt ruft, kann als Versuch gewertet werden, den Unruheherd David von der Truppe fern zu halten.

Bei dem nun folgenden Gespräch wird das Versagen Sauls überdeutlich: David ist bereit, sich Goliath zu stellen. Er erzählt voll Gottvertrauen von seinen Kämpfen mit wilden Tieren (das kam bei Hirten wie ihm übrigens immer wieder vor, da sie den Besitzern der Herden schadenersatzpflichtig waren und ihnen Beweise für den Verlust durch wilde Tiere liefern mussten). Saul jedoch traut dem Naturburschen den Kampf nicht zu. Im Sinne der Autoren gibt diese Erzählung somit auch einen Hinweis, dass König Saul der Glaube an die Allmacht Gottes abhanden gekommen ist, er also nicht mehr als der Erwählte des Herrn gelten kann.

Dennoch stattet Saul David mit seiner Königsrüstung aus, ein Zeichen für einen offiziellen Auftrag Davids, steckte doch im Verständnis der Israeliten in der Kleidung eines Menschen zugleich ein Teil seiner Würde, ja seiner selbst. Deshalb ist die Rüstungsübergabe auch Symbol dafür, wen Gott von nun an erwählt hat: David. Saul ist schon da ein Mann von gestern, wie die Autoren der Geschichte unmissverständlich andeuten. (Dass die Rüstung David noch eine Nummer zu groß ist und er sie wieder ablegt, ist auf vielerlei Art interpretierbar – manche Bibelexegeten sehen darin gar eine Kritik an den frühen Regierungsjahren des späteren König David.)

Nun treibt das Geschehen seinem Höhepunkt zu: Aus der Abenteuergeschichte wird ein theologisches Lehrstück. Goliath verflucht „David bei seinen Göttern“ (Vers 43). Damit ist aus dem – damals nicht unüblichen – Stellvertreterkampf zwischen zwei Heeren eine Schlacht zwischen dem einen Gott Israels und den Götzen der Philister geworden. Von nun an wird nicht mehr ein Kampf um Territorien ausgetragen, sondern einer um Gut und Böse.

So sieht es auch David. Deshalb antwortet er Goliath nicht nur mit Schmähungen, sondern auch mit einer theologischen Aussage, mit dem Kernsatz der Geschichte: „Alle Welt soll erkennen, dass Israel einen Gott hat.“ Der Ausgang des Kampfes ist danach nur noch Formsache – und wird folgerichtig ziemlich knapp erzählt: David trifft den Hünen mit einer seinerzeit durchaus gefürchteten Waffe, dem Stein aus einer Schleuder, am Kopf. Dann enthauptet er Goliath mit dessen eigenem Schwert, was als besonders entwürdigend galt.

Der Kampf zwischen David und Goliath hat, wie gesagt, so nie stattgefunden. Es gibt zahlreiche Widersprüche im Text (so wird beispielsweise Goliath zweimal getötet: einmal mit dem Stein aus der Schleuder, dann durch die Enthauptung). Auch unnötige Wiederholungen in der Erzählung deuten darauf hin, dass hier in erster Linie ein Mythos gegründet und gefeiert werden sollte.

David, so kann es verstanden werden, ist zwar nur ein Emporkömling. Aber nach seinen Siegen im Auftrag Sauls ist er beliebt an dessen Hof, beim Königssohn Jonathan, beim Volk und bei den Frauen, die ihn singend und tanzend mit Zimbeln und Handpauken rühmen: „Saul hat tausend erschlagen. David aber zehntausend“, wie es gleich nach der David-und-Goliath-Geschichte in der Bibel heißt. Die wichtigste Nachricht lautet: Mit dem Sieg des Kleinen über den Großen beginnt der Aufstieg eines von Gott erwählten Königs.

Der Stellvertreterkampf bei Bethlehem ist Startpunkt einer offiziösen Chronik, die das Königtum Davids legitimieren, die Staatsbildung transzendieren und den Höhepunkt der staatlichen Geschichte des antiken Judentums zelebrieren soll. Tatsächlich ist die Geschichte wohl kurz vor der Teilung in das Nordreich Israel und das Südreich Juda, also vor 931 vor unserer Zeitrechnung, entstanden. In Jerusalem, das König David erobert hatte.

Die Geschichte von David und Goliath fasziniert, weil sie „ein Grundgesetz des Reiches Gottes“ deutlich macht, wie der Theologe Hans Wilhelm Hertzberg gesagt hat: dass Gott „durch das, was schwach ist, das Starke zuschanden macht“. David wurde so über Jahrtausende und über Kulturkreise hinweg zur Hoffnung für die Machtlosen, Armen und Schwachen, dass ihnen doch einmal wider alle Erwartung ein Sieg über die Mächtigen, Reichen und Starken gelingen könnte. Schöner noch: Erst ihre zunächst schwache Ausgangsposition macht den Triumph vollkommen. Wen begeistert es schon noch, wenn die Kicker des FC Bayern München Deutscher Meister werden? Aber Schalke! Oder gar eines Tages der proletarische Verein Kickers Offenbach!

Es ist die Sehnsucht nach einem rundum geglückten Augenblick, ja vielleicht einem gelungenen Leben, die dieser uralten Erzählung des israelitischen Hirtenjungen seit Jahrtausenden ihre Frische gibt. Kein Wunder, dass sie eine Inspiration für den rot-grünen Menschen in uns allen ist. Unter Davids Banner ritten seit Menschengedenken die Weltverbesserer der Politik: Krieg den Palästen, Friede den Hütten und Solidarität mit den Schwachen und Armen, die nichts zu verlieren haben als ihre Ketten.

Kaum erstaunlich, dass auch bei Karl Marx die Metapher „vom großen Goliath und dem kleinen David“ zu finden ist (wenn auch nur am Rande und als „Puppenspiel“ ironisiert). Diese Geschichte hat, seit sie erzählt wird, politische Sprengkraft. Davon zeugt nicht zuletzt die Tatsache, dass sich in der Nazizeit Theologen fanden, die verzweifelt versuchten, dem Juden David seine Gloriole zu entreißen – mit dem absurden Versuch, ihm „Heimtücke“ im Kampf gegen den nichtjüdischen Krieger Goliath nachzuweisen. Ein wider alles Erwarten und dank Gottes Hilfe siegreicher Jude durfte nicht sein.

Vorsicht deshalb! Die Geschichte von David und Goliath hat ihre Widerhaken, und wer immer sich auf den scheinbar schwachen David beruft, liegt leicht schief: David ist schon in dieser Erzählung nicht der strahlende Held, und sein Kampf ist nur siegreich, weil ihn letztlich Gott kämpft. Auch David war ein Sünder, der, nur ein Beispiel, später als König den Mann seiner Geliebten an eine besonders umkämpfte Front stellen ließ, wo er fallen sollte. David verlor als König recht bald die Gunst des Herrn – ebenso wie der große Saul dem kleinen David unterlag.

Wenn es also eine Lehre aus der Legende um David und Goliath gibt, dann bloß jene, dass nur der siegt, der im Sinne Gottes handelt. Wer aber kann sich schon mit Recht darauf berufen? Und könnten nicht alle Davids irgendwann zum Goliath werden, wenn die Umstände es nur zuließen?

PHILIPP GESSLER, 35, Redakteur im Berlin-Ressort der taz, schreibt im taz.mag vorwiegend über religiöse Fragen