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Archiv-Artikel

Schnittmusterleute

Pepitaröcke, Cargolook und Leder: Bread & Butter zeigt die Trends. Die Modemesse ist zum ersten Mal in Berlin. Die Clubs sind mit von der Partie

von ANNE HAEMING

Die Arbeiter im Kabelwerk sind besoffen vor Glück, dabei hat der Vormittag erst begonnen. In der Halle summt und brummt es vor Lachen und blendender Laune. Kurzum: Eine Modemesse ist ein Mikrokosmos der happy People, die Berliner „Bread-&-Butter-Tradeshow“ ist der Beweis.

Bis ein vor Frust verzerrtes Gesicht hinter einer Wäscheleine auftaucht und das notorische Strahlen widerlegt. „What a nightmare, ein verdammter Albtraum“, stöhnt Martha vom Londoner Label „Traffic People“ und tritt mit ihren Pumps den Kunstrasen fest. Als sie und ihre Chefin am Vortag in Berlin ankamen, stellten sie fest, dass der Paketdienst ihre Standutensilien verschlampt hatte. Nur die Klamotten waren da, keine Dekoration. Jetzt müssen sie improvisieren. Aber Bonbonklamotten und Pepitakaros reichen ohnehin, um Caprisonne-Stimmung in die ehemalige Industriehalle zu bringen. Louise Reynolds, die Designerin und Gründerin von Traffic People, hat sich wieder beruhigt. Schon während der Aufbauarbeiten konnte sie drei Bestellungen für ihren Fünfziger-Achtiger-Jahre-Mix entgegennehmen: Die Caprimode geht ausgerechnet nach Italien.

Die dreitägige Modemesse ist zum ersten Mal in Berlin. Köln sei nach zwei Jahren ein bisschen zu eng geworden, begründet Kristyan Geyr, einer der drei Macher, den Umzug in die Hauptstadt. Bread & Butter klingt zwar nach Grundsubstanzen ohne viel Chichi. Dass das für Modetrends kaum gelten kann, versteht sich von selbst. Außerdem sind auf der Messe nicht nur die großen Marken vertreten, auch potenzielle Geheimtipps findet, wer sucht. Und was der Modeevent in Berlin lostritt, geht weit über die eigentlichen Grundmauern der Messe hinaus: Die DJ-Szene ist dabei, auch die Videokünstler und Clubs.

Vielleicht geht Andy Tanner am Abend noch zu einem der Butterbrot-Konzerte. Sein Stand fällt neben dem sonstigen Wohnzimmerlook aus Fototapeten, röhrenden Hirschen und Kunstledersitzen ins Auge. „Alprausch“ heißt seine Zürcher Firma. „Meine Sachen sind ein bisschen ans Klischee der Schweiz angelehnt, klar“, meint er. „Berge, Tourismus, Sport, diese Wurzeln adaptieren wir.“ Für den nächsten Winter lässt er den klassischen Skilehrerpullover aufleben: „Ursli“ ist rot-weiß mit einem kleinen Schweizerkreuz auf der Brust. Daneben hängen „Peter“ und „s’Heidi“. Die beiden gebe es in jeder Kollektion, sagt Tanner und drückt einem Käufer eine Schoggi in die Hand.

Wer Einkäufer ist und wer Fashionvictim, wer Verkäufer oder Model, ist kaum auszumachen. Alle sind von einer Aura der Perfektion umgeben, ein imaginäres Spruchband über ihren gestylten Frisuren verkündet in Endlosschleife: „Ich sehe klasse aus! Ich habe Geschmack!“ Auf der Suche nach dem neuesten Trend streifen sie durch die Gänge, notieren Preise oder klauen skizzierend schnittige Ideen. Thomas Kühn tourt seit zwei Stunden herum, er kauft für seinen Laden in Riesa ein. „Der neueste Trend? Auf keinen Fall Jeans, das ist durch“, beurteilt der Kenner die Auslagen. „Stattdessen: Lederhosen, Cargohosen, Militarystil, alles ganz weit und locker. Oder?“ Seine Begleiterin nickt, sie müssen weiter.

Der Blick wird frei auf einen blauen Stand, beladen mit Jeans in allen Variationen. Wenn die Designer dort noch was verkaufen, dann gegen die Expertenmeinung. Vielleicht ja, weil die Jeans bei ihnen nach oben ins T-Shirt gewandert ist. Vielleicht auch einfach, weil ihre Hosen eine Seele haben, die Marke heißt „jeans with a soul“.