öffnungsklauseln
: Der Berlin-Tarif

Viele Augen richten sich zur Zeit auf Berlin. Der rot-rote Senat habe mit seinem Ausstieg aus den öffentlichen Arbeitgeberverbänden – ein Novum in Deutschland – zum Angriff gegen verkrustete Gewerkschaftsstrukturen geblasen, frohlocken die einen. Er untergrabe das gewachsene System des Flächentarifvertrages, kritisieren die anderen. Beide haben Unrecht.

Kommentarvon RICHARD ROTHER

Potenzielle Nachahmer in Ländern und Kommunen, die sich unter dem Joch der Gewerkschaften wähnen, seien nämlich gewarnt: Der Senat begründet die angestrebte Nullrunde mit einer „extremen Haushaltsnotlage“. Trotz allgemeiner Finanznöte: So weit ist es andernorts nicht.

Zudem will sich der Senat explizit am Bundestarifvertrag orientieren, strebt eine zeitlich befristete Öffnungsklausel an. Solche Klauseln gehören zum tarifpolitischen Alltag, etwa in der ostdeutschen Metallindustrie: Not leidenden Unternehmen wird damit ermöglicht, eine Zeit lang unter das Tarifniveau zu gehen. Auch Gewerkschafter betonen, dass das System des Flächentarifvertrages damit insgesamt gestärkt wird – weil die Alternative ein dauerhaft tarifloser Zustand wäre.

Statt tarifpolitischem Wildwuchs im öffentlichen Dienst wird es also bis zur völligen Angleichung der Lebensverhältnisse in der Republik drei Tarifgebiete geben: ein Tarifgebiet West, ein Tarifgebiet Ost und ein Tarifgebiet Berlin.

Berlin wird sich am Westniveau orientieren, es aber zunächst nicht mehr erreichen. Das entspricht nicht nur der geografischen, sondern auch der wirtschaftlichen Lage der Stadt. Der Rest ist Sache der Verhandlungen, bei denen beide Seite wissen: Sie sind zum Erfolg verdammt.