: Stresshormone als Antriebskraft
Hessens Ministerpräsident Roland Koch wirkt im Landtagswahlkampf unterfordert. Als Experte nicht für alles, aber auf jeden Fall für Volksmeinungen setzt er auf große Zielgruppen und eine noch größere CDU-Mehrheit im Landtag
BUTZBACH/WEILBURG taz ■ Alle sind fix und fertig. Nur der nicht, der Mann geht feiern. Am Ende eines langen Wahlkampftages ist für den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) noch lange nicht Schluss. Der Geburtstag seines Fraktionsvorsitzenden, des Kandidaten Norbert Kartmann, muss begangen werden. Ort und Zeit stimmen: Wahlkundgebung im Bürgerhaus im mittelhessischen Butzbach. Der Saal ist knüppelvoll. Koch menschelt, dass es nur so seine Artigkeit hat. Zuvor hatte er zur längsten Rede des Tages angesetzt, alle Textbausteine zu einer Gesamtvorstellung kombiniert.
Es ist an diesem Tag seine fünfte Veranstaltung, „Erfolgstour Hessen“ quer durch das Land im schwarzen Reisebus, im Gepäck der Journalistentross. In der letzten Reihe hält er Hof. Da macht er es wie bei den Diskussionsveranstaltungen. Eine kleine Frage, und der Mann sprudelt ohne Punkt und Komma, schachtelt Sätze ineinander, stapelt geschickt tief, weil ja „keiner Experte für alles“ sein könne.
Und redet schlussendlich auch die eigenen Parteifreunde an die Wand. Im fürstlichen Hoftheater zu Weilburg geht es um die Köpfe: oben unter der Decke Goethe und Schiller in Gips, unten einige hundert Lehrer. Bildung ist, seltsame Besonderheit des Landes Hessen, auch diesmal wieder Wahlkampfthema Nummer 1. Auch da sei er, sagt Koch, kein Experte. Und bändigt den aufmüpfigen Berufsstand bis zum Beifall. Erfolge der vergangenen Legislaturperiode können auch eingefleischte Gegner nicht bestreiten, neue Stellen und weniger Unterrichtsausfall. Koch macht es ihnen schwer, räumt sogar Schwachstellen ein.
Und am Ende ist der Laie Koch doch Fachmann, Vater nämlich und selbst mal Schüler gewesen. Kinder ausländischer Eltern sollen künftig schon vor der Einschulung Deutsch lernen, die Ganztagsschule als Wahlmöglichkeit angeboten, noch mehr Fachlehrer angeworben werden. Da können sich viele wiederfinden, Eltern, Lehrer, Schüler.
Das macht seine Reden aus: möglichst große Interessengruppen anzusprechen. Da waren am Morgen die Bauern, mittags widmete er sich der inneren Sicherheit, als da waren Alte, Ängstliche, Haus- und Autobesitzer wie du und ich. Koch proklamierte die kleine Sicherheit und posierte mit den Uniformierten des Modellprojekts „Freiwilliger Polizeidienst“ in Marburg.
Teils gab Koch den Zuchtmeister für die eigene, in Mittelhessen besonders konservative Klientel, forderte Bereitschaft zur Integration, Weltoffenheit, Zuwanderung als Notwendigkeit, aber bitte mit Deutschkenntnissen und Quotierung. Zucker bekam der Affe Volksmeinung erst bei der Kriminalität: Ausländerbanden, die mitnichten gute Deutsche werden wollen, sondern Handtaschen rauben und sich in deutschen Gefängnissen einen schönen Tag machen mit TV und medizinischer Betreuung. Der Saal jubelte.
Jubel aber spornt Koch nicht an. Seine Chemie funktioniert auch an diesem Tag, als sei Stress sein Lebensexelier. Gemessen am knappen Sieg 1999 und an der Goodwill-Ochsentour durchs Land nach seiner 2001 eingestandenen Lüge in der CDU-Spendenaffäre, scheint dieser Wahlkampf für ihn eher wie ein Spaziergang. Deshalb muss er sich die Umfrageergebnisse, die ihn als Sieger sehen, selbst schlechtreden: Die Wahlen sind erst am Wahlabend gewonnen, jede Stimme der CDU. Und wird fast messianisch. Leuchttürme sollen sie alle sein, ruft er den Parteigängern zu, „und blinken“, Signale setzen für die CDU im Freundes- und Bekanntenkreis, am Arbeitsplatz.
Unfreiwillige Komik entgeht ihm andersorts nicht. Am Morgen war ein „Frauenfrühstück“ angesagt. Die Eingangsrede hielt der Lokal-CDUler „Herr Herr“. Koch kichert. HEIDE PLATEN