: Der lange Lauf zum Honigglas
Beim 25. Team-Marathon laufen 76 Mannschaften durch den Plänterwald. Bis 1989 war auch Horst Bartsch auf der Strecke. Heute wartet er daneben auf die Sportler. Denn der arbeitslose Geologe will ihnen Honig verkaufen
Die Eingangshalle der Gesamtschule Treptow ist kein schöner Ort. Die Farbe löst sich von den Wänden, nach Kinderangst riecht es und nach alten Butterbroten. Keiner würde hier am Wochenende freiwillig sein. Außer am dritten Januarsamstag im Jahr. Da ist die Halle ein guter Platz, um Honig zu verkaufen. Ein älterer Mann mit großen Turnschuhen sagt das. Er steht allein neben einem schmalen Tisch mit Honiggläsern. „Marathonläufer sind als Menschengruppe die besten Honigesser weltweit“, sagt der Mann. „Horst Bartsch, arbeitsloser Geologe und nebenberuflicher Imker“, stellt er sich vor.
Gegenüber der Schule im Plänterwald findet der 25. Berliner Team-Marathon vom SCC-Running statt. Um 12 Uhr sind 76 Mannschaften losgerannt. Jede besteht aus drei Läufern. Das ist das besondere am diesem Marathon, wo es für den einzelnen nicht nur darauf ankommt, schnell und ausdauernd zu sein, sondern auch im Gleichmaß mit seinem Team zu bleiben – auf acht Runden durch den Park, an der Anlegestelle vorbei, die Spree entlang. Das ist seit 25 Jahren Tradition. Ein Marathon von dem alle, die ihn einmal mitgelaufen sind, ganz begeistert sind. So begeistert, dass sie sich dafür in Thüringen, Bayern und Sachsen in die Autos setzen, ja sogar aus Tschechien, Polen und Schweden reisen Läufer an.
Auch der 59-jährige Horst Bartsch ist Marathonläufer. Trotzdem ist er jetzt nicht draußen bei den anderen, bei dem Mann mit dem Lautsprecher, bei den Helfern mit den Thermoskannen, wo die Frau des Veranstalters, ohne die hier ja auch alles zusammenbrechen würde, wie die Leute sagen, wo Ingelore Winkler an der Strecke winkt, wenn ihr Mann vorbeirennt.
Nein, Bartsch bleibt in der Halle und wartet bis die Sportler zurückkehren ins Schulgebäude, wo die Umkleidekabinen untergebracht sind. „Die Marathonfamilie weiß, dass Honig das beste Mittel ist, um sich schnell wieder herzustellen“, sagt Bartsch. Er kann sich an 1979 erinnern, als es losging mit dem Ostberliner Team-Marathon und die Strecke so verschneit war, dass die neun Mannschaften ihren Weg durch die Bäume kaum finden konnten. Er ist selber mitgelaufen, immer und immer wieder, bei Eisregen und Temperaturen weit unter Null. Erst seit der Wende rennt er nicht mehr. Weil es den Staat nicht mehr gibt, der ihm seinen Honig abnimmt. Bartsch muss jetzt für jedes Glas selbst einen Käufer suchen.
Manchmal geht er runter in die Kantine im Keller. Da sitzen die Alten und erzählen beim Kaffee, wie sie gelaufen sind in China, Ägypten, Hongkong. Verknickte Zeitungsartikel dienen als Beweis. Einer ist einen 100-Kilometer-Marathon gelaufen. In sieben Stunden. Das muss man sich mal vorstellen, sagt Bartsch. 100 Kilometer! Sieben Stunden!
Um 15 Uhr 30 guckt er auf die Uhr. Die ersten Läufer müssen längst durchs Ziel sein. In der Turnhalle baut Ingelore Winkler die Preise für die Siegerehrung auf. Es gibt Sahnetorten, Duschgelflaschen und atmungsaktive Unterwäsche zu gewinnen. Horst Bartsch verlagert seinen Stand ebenfalls in die Turnhalle.
Wenige Minuten später steht fest: Die Luckenwalder waren die Schnellsten. Zwei Stunden, 57 Minuten und 57 Sekunden hat das Team mit der Startnummer 2 gebraucht. Nach und nach füllt sich die Halle mit immer mehr Läufern, Freundinnen halten Hände, der DJ, ein Grauhaariger in Lederjacke, spielt „Smoke on the Water“. Bartschs erste Kunden trudeln ein. Einer kauft fünf Gläser Akazienhonig, mit einem anderen verheddert er sich in ein umständliches Gespräch über Bienenvölker und die Misere der deutschen Wirtschaft. Sein eigenes Geschäft läuft. Die Sportler kaufen Honig wie verrückt. Einer nimmt eine ganze Kiste mit.
17.30 Uhr ist es schließlich, als Bartsch erklärt, dass Marathon „ein Sport für Intellektuelle“ ist, weil der Läufer „im Kopf Disziplin haben muss dafür“. Um 17.32 Uhr beginnt die Siegerehrung. Ein Mann in roter Trainigsjacke ruft ins Mikrofon: „Wir haben’s geschafft! 25 Jahre Berliner Team-Marathon“. Zwei Männer heben eine 2 und eine 5 aus Hefeteig in die Luft. KIRSTEN KÜPPERS