Der Fußpilz des Königs

Wie es durch ein Leiden Ludwig II. zu einer handfesten Keilerei kam. Ein Saunabericht

John will es nicht gewesen sein. Filzer auch nicht. Kremm verweigert die Aussage

Klar ist nur, der Tag, an dem die Saunarunde zerbrach, muss ein Freitag gewesen sein. „Die kommen immer freitags, und freitags hab ich Dienst“, sagt Frau Seidel. Sie glaubt, die Sache war so: Filzer und John saßen im Schwitzraum, Schlotz, Kremm, Mollbach und Hoss hockten an der Theke. Mollbach und Hoss tranken Bier, Schlotz kaute Nüsse und schabte sich mit dem rechten Badelatschen die linken Fußspitze wund. Dann habe Kremm gestänkert und Schlotz zugeschlagen. Mehr wisse sie auch nicht, sagt Frau Seidel.

Laut Hoss begann das Elend, als Kremm Schlotz verstohlen musterte, in die Runde zwinkerte und behauptete, ein Allgemeinmediziner namens Menz habe am 13. 6. 1887, auf den Tag ein Jahr nachdem der Leichnam Ludwig II aus dem Starnberger See geborgen wurde, im bayerischen Mittenwald einen seltenen Fußpilz entdeckt, der zwischen den Zehen seines Patientien exakt die Form von Ludwigs Lieblingsberg, der nahe liegenden Karwendelspitze, ausgebildet hätte und heute noch im Museum des Garmischer Heimatbundes zu sehen sei.

„Wettersteinspitze“, sagt Mollbach, „Ludwigs Lieblingsberg war die Wettersteinspitze.“ Er wolle aber nicht kleinlich sein, sondern klarstellen, dass der Anfang vom Ende nicht der Beginn, sondern der Schluss von Kremms Geschichte gewesen ist, denn am Schluss habe es Schlotz kalten Schweiß und Tränen der Wut ins Gesicht getrieben. Was Hoss und Schlotz bis heute hartnäckig bestreiten. Hoss weiß nur, dass Kremm plötzlich „umfiel wie ein Stein“.

Kremm sagt heute, er hat den Schlag einfach nicht gesehen, aber erstklassige und justiziable Fotos von der Platzwunde. Schlotzens Standpunkt ist, es habe nie einen Schlag gegeben. Anderseits konnte man Kremms brackige Lache bis zum Eisstadion hören, weshalb Schlotz einfach die Gäule durchgegangen sind. So lautet jedenfalls Mollbachs Version.

Danach muss Schlotz fluchtartig in die Sauna gestürmt sein, gefolgt von Kremm, dem das Blut in feinen Rinnsalen vom Haupte tropfte. John schwört, Schlotz habe seinen Wanst sogleich auf den obersten Lattenrost dicht neben Filzer gewuchtet und das Fass zum Überlaufen gebracht mit einer lautstarken Suada, deren Inhalt Filzer folgendermaßen rekapituliert:

Er, das heißt: Schlotz, werde mit Kremm fortan kein Wort mehr wechseln, da Kremm es einfach nicht lassen könne, ihn den beliebten und erfolgreichen Chiropraktiker öffentlich zu diskreditieren, und das nicht nur im Kreise der Saunakumpane, sondern selbst in Anwesenheit von Schlotz völlig fremden Männern, von den Damen gar nicht zu reden, und zwar durch die immer wieder gleichen trüben und stets mit dubiosen Geschichten verbrämten Anspielungen auf seine allseits bekannte und von allen außer Kremm respektierte Verehrung des Wittelsbachers Ludwig II. und ein ebenso hartnäckiges wie hässliches Fußleiden, an dem Schlotz – Gott sei’s geklagt – auch ohne Kremm schon genug zu leiden hätte, wie gerade Filzer bestätigen könne, der ja seinerseits oft genug die chronische Bösartigkeit Kremms zu spüren bekomme, ob einer herben olfaktorischen Aura, die Filzer, behaupte jedenfalls Kremm, während des Schwitzvorgangs verbreite, obwohl jedermann wisse, dass der aus zwei Millionen ekkriner Drüsen rinnende Saunaschweiß völlig geruchlos sei, schließlich bestehe er zu 99 Prozent aus reinstem Wasser, was Kremm, sagt Schlotz, kühl mit der Bemerkung gekontert habe, Gleiches ließe sich auch von dem beim Saunieren vermehrt produziertem Urin sagen, und Urin, diese von der Niere mit allerlei Giftstoffen und Stoffwechselprodukten angereicherte Flüssigkeit, stinke eben wie Filzer, weshalb er Filzer hier und jetzt vor die Wahl stellen müsse: Schlotz oder Kremm! Beides sei nicht mehr zu haben, das sei aus und vorbei, es müsse endlich mal ein Exempel statuiert und Kremm das Schandmaul gestopft werden. „Jawohl, das Schandmaul“, habe Schlotz gerufen und streitlustig in die nur trübe beleuchtete Runde geblickt. „Es gibt ganz andere, denen mal das Maul gestopft gehört“ – für diese prompte Replik verbürgen sich nicht nur Filzer und John. Sondern auch das Ehepaar Dr. Grimm sowie Fräulein Pausewang und Herr Löffler, die ebenfalls in der Sauna saßen, zu den darauffolgenden Handgreiflichkeiten zulasten des Schlotz aber jeden weiteren Kommentar ablehnen. John will es auf keinen Fall gewesen sein. Filzer auch nicht. Kremm verweigert die Aussage. Für Hoss und Mollbach verbürgt sich Frau Seidel. Die gute Seele war es auch, die Kremm und den jetzt ebenfalls heftig blutenden Schlotz in Bademäntel packte und per Taxi entsorgte. Denn, wie sich herausstellte, hatte jemand den Inhalt von Schlotzens Schrank durch Entleeren der Blase unbrauchbar gemacht. Kremms nagelneuen Kaschmirmantel fischte sie tags darauf aus der Biotonne vor der Saunaanlage. Die Polizei ermittelt in beiden Fällen gegen Unbekannt. MICHAEL QUASTHOFF