: „Loyalisten glauben an Magie“
Interview DOROTHEA HAHN
taz: Herr Kourouma, Ihre Romane handeln von politischen Katastrophen in Afrika. Konnten Sie sich vorstellen, dass so etwas auch in Ihrem eigenen Land, der Elfenbeinküste, passieren würde?
Ahmadou Kourouma: Aber nein! Ich habe gedacht, die Situation, die ich in meinen Romanen beschreibe, könnte in allen afrikanischen Ländern eintreten. Überall. Außer in der Elfenbeinküste. Ich dachte, meine Landsleute wären zu reif, um sich in einen Stammeskrieg zu stürzen.
Sie nennen das, was jetzt in der Elfenbeinküste passiert, also einen Stammeskrieg?
Da steckt vieles drin: Stammesbewusstsein, auch Religiöses. Aber es geht nicht Stamm gegen Stamm oder Religion gegen Religion, sondern Leute gegen Leute. Was sehr viel Hass geschaffen hat, ist das Gerede von der „Ivoirité“, von Ivoirern, die angeblich nicht „pur“ seien. Aber was letztlich den Krieg ausgelöst hat, war das Massengrab von Yopougon. Da wurden Leute aus dem Norden in der Hauptstadt Abidjan von Gendarmen aus dem Süden füsiliert. Und die Gedarmen sind nicht bestraft worden. Denn die Gendarmen unterstützen den Präsidenten Gbagbo. Und Gbagbo hat nicht die nötige Kraft aufgewandt, um die Verantwortlichen zu finden.
Welche Rolle spielt der ivoirische Rohstoff Kakao?
Das ist zentral. Der Preis des Kakao ist um fast die Hälfte gesunken. Und es war nicht mehr genug zum Leben für alle da. Da haben die alteingesessenen Ivoirer angefangen, die Ausländer zu verjagen, die im Kakao arbeiteten.
Sie haben das Stichwort „Ivoirité“ genannt. Was ist das?
Das ist eine idiotische Idee. Am Anfang war es ein Spiel. Ein Spiel mit etwas, womit man nicht spielen darf: mit der Ausgrenzung. Die „Ivoirité“ trennt die Leute der Elfenbeinküste in Inländer und Ausländer. Aber die Elfenbeinküste existiert nicht einmal seit 100 Jahren. Es kann überhaupt keine „Ivoirer seit vielen Jahrhunderten“ geben, wie die Vertreter der „Ivoirité“ behaupten.
Haben Sie oder andere ivoirische Intelektuelle protestiert, als die „Ivoirité“ Anfang der 90er-Jahre in die Diskussion kam?
Aber nein! Am Anfang habe ich sogar darüber gelacht. Niemand hat protestiert. Niemand hat es wichtig genommen. Und niemand hat gedacht, dass es so viel Hass auslösen könnte.
Dabei sind Sie selbst nach den Kriterien der „Ivoirité“ nicht unbedingt ein echter Ivoirer.
Ja. Ich komme aus dem Norden. Das heißt, ich bin verdächtig.
Aus dem ivoirischen Norden kommt auch Ihre Muttersprache, das Malinké. Aber Sie schreiben auf Französisch. Warum?
Bücher auf Französisch haben mehr Einfluss. In meiner Sprache gibt es kaum Verlage. Und nur sehr wenige Leser. Alle lernen Französisch. Das ist die geschriebene Sprache. Man muss die Sprache benutzen, um Einfluss zu haben. Und ich habe nicht gelernt, in meiner Sprache zu schreiben. In der Schule hat man mich gezwungen, Französisch zu schreiben. Ich hatte nicht das Recht, meine Sprache zu sprechen. Aber ich schreibe mit allen Afrikanern. Ich mache ihre Probleme zu meinen Themen. Schreibe das, was sie denken. Und sie sollen es auch lesen. Das Problem: Bücher sind sehr teuer.
In Afrika gab es binnen weniger Jahre Kriege in Ruanda, in Liberia und in Sierra Leone – um nur einige Beispiele zu nennen. Jetzt in der Elfenbeinküste. Sind solche Katastrophen auf Ihrem Kontinent eine Fatalität?
Aber nein! In Afrika gibt es 54 Staaten. Was passiert, ist auf drei oder vier Staaten beschränkt. Die anderen afrikanischen Staaten gehen in Richtung Demokratie. Und nach dieser Geschichte wird auch die Elfenbeinküste in Richtung Demokratie gehen.
Im Kalten Krieg gab es in Afrika weniger Kriege. Lebten die Leute besser?
Sie lebten unter Diktaturen. Der Präsident tat, was er wollte. Es gab schrecklichen Machtmissbrauch. Das hat zu der aktuellen Situation geführt.
In der Elfenbeinküste leben an die 60 verschiedene Ethnien. Sind die multiethnischen Länder in Afrika gescheitert?
In den Ländern, wo man diskutieren und sich unter allen Ethnien verständigen konnte, klappt es. Nehmen Sie Benin, da leben auch viele Ethnien. Sie haben eine nationale Konferenz gemacht. Und es hat geklappt.
Warum konnte in der Elfenbeinküste der Konflikt nicht vermieden werden?
Weil wir nach dem Fall der Berliner Mauer eben nicht die Politiker und die Notablen versammelt haben. Weil wir die alten Machtverhältnisse nicht abgeschafft und keine neue Verfassung geschrieben haben. Überall, wo es eine nationale Konferenz gegeben hat, läuft es. In den Ländern, wo es keine nationale Konferenz gegeben hat, führte das zu Massakern. Wie in Mali. Oder in Niger, wo der Präsident ermordet wurde.
Wer hat den Neuanfang in der Elfenbeinküste verhindert?
Die Machthaber. Wenn man die Macht hat, klammert man sich daran.
Sie sagen das so, als wäre es ein Naturgesetz.
Präsident Gbagbo zum Beispiel will jetzt nicht mehr loslassen.
Ist die politische Situation in den ehemaligen britischen Kolonien anders als im frankophonen Afrika?
In den anglophonen Ländern stellen sich dieselben Probleme. Der Unterschied ist, dass die Einheitsparteien in den frankophonen Ländern strenger waren. In den anglophonen Ländern gab es ein bisschen mehr Freiheit.
Frankreich behandelt das Problem in der Elfenbeinküste beinahe wie eine innenpolitische Angelegenheit. Ist die Exkolonialmacht neutral genug, um in einem postkolonialen Konflikt zu vermitteln?
Natürlich kann das Probleme machen. Aber wir wissen, dass sehr viel Schlimmeres hätte passieren können, wenn Frankreich nicht gekommen wäre. Frankreich hat Massaker verhindert. Ohne Frankreichs Eingreifen wären die Rebellen in die Hauptstadt Abidjan einmarschiert.
Sie meinen, die ivoirischen Regierungstruppen hätten es nicht geschafft, die Rebellen aufzuhalten?
Die Loyalisten [die Truppen der ivoirischen Regierung, d. Red.] glauben, die Rebellen hätten einen Zauber. Glauben, die Rebellen könnten nicht von Kugeln verletzt werden, weil die traditionellen Jäger auf ihrer Seite sind. Deswegen haben die Rebellen in weniger als zwei Wochen die Hälfte des Landes besetzt. Die Loyalisten fliehen, wenn die Rebellen schießen. Ohne die französischen Soldaten wären die Rebellen in Abidjan angekommen. Und es hätte viele Massaker gegeben.
Sie erklären den militärischen Erfolg der Rebellen mit Aberglauben?
Ja. Die Leute glauben an diese Magie.
Unterschätzen Sie Ihre Landsleute nicht ein bisschen? Es gibt doch Fernsehen, Schulen, manche Ivoirer sind gereist …
Aber so ist es! Der Aberglaube existiert. Meine Landsleute glauben an Magie. Die Christen, die Moslems, die Animisten … Alle. Auf jeden Fall die Loyalisten.
In Ihrem letzten Roman „Allah n’est pas obligé“ (Allah muss nicht gerecht sein) haben Sie die Brutalitäten und die Plündereien der nigerianischen Truppen Ecomog beschrieben. Haben die Ivoirer mehr Vertrauen in französische Soldaten als in afrikanische?
Nein, nein. Die Situation in Liberia und Sierra Leone ist anders als in meinem Land. Dort waren Stammeskriege. In der Elfenbeinküste stehen sich zwei Kräfte gegenüber.
Seit vergangenem Mittwoch sitzen die kriegerischen Parteien aus der Elfenbeinküste in einem Vorort von Paris an einem Verhandlungstisch. Was erwarten Sie von den Gesprächen?
Ich hoffe, dass sie Frieden in der Elfenbeinküste bringen. Die Ivoirer leiden.
Was muss geschehen, um die Feindlichkeiten zu beenden?
Die Rebellen wollen den Rücktritt von Präsident Gbagbo. Aber Gbagbo will nicht zurücktreten. Es wäre ideal, irgendetwas zu finden, was zwischen Zurücktreten und Nichtzurücktreten liegt.
Da verlangen Sie die Quadratur des Kreises.
Damit wieder Frieden in der Elfenbeinküste herrscht, müssen sowohl Gbagbo als auch die Rebellen zufrieden gestellt werden.
Gibt es ein enstprechendes Vermittlungsangebot?
Bislang sind alle zu radikal und schließen sich gegenseitig aus. Noch herrschen die Extreme.
Werden die neun Verhandlungstage in Paris zu einem Ende der Kämpfe führen?
Ich glaube, dass es schwierig ist, sich innerhalb von neun Tagen zu verständigen. Die Positionen sind sehr, sehr gegensätzlich.
Viele bezeichnen die Gespräche als „letzte Chance“. Was passiert in Ihrem Land bei einem Scheitern?
Es wird eine Katastrophe. Niemand weiß, wo dies alles enden wird.
Wann fahren Sie wieder in die Elfenbeinküste?
Ich möchte schon lange in mein Land zurück. Aber im Augenblick ist das zu gefährlich. Es gibt in Abidjan Todesschwadronen. Und es besteht das Risiko, dass diese mich umbringen.