Mit Papstes Segen

Sechs Stücke an sechs Tagen: Zu ihrem 20-jährigen Bestehen macht die Bremer Shakespeare Company ihrem Publikum ein feudales Geschenk. Aber warum liebt die Stadt William so sehr?

taz ■ Die Wucht hat nicht nachgelassen. Als „armer Sünder“ fühle er sich vor ihm, hatte einst Goethe – und nicht der abgeklärte Kunstgreis von Weimar, sondern der stürmische und drängende Jung-Johann – in seiner „Rede zum Shäkespears-Tag“ bekannt. Der – ein armer Sünder!

Ein großes Wort. Und doch, vor Shakespeare wirkt’s selbst heute nicht übertrieben. Zumindest nicht in Bremen und zumindest nicht im ersten Bühnen-Quartal 2003: Einem „Hamlet“ im frühen Januar von der Wanderbühne des „Theaters aus Bremen“ lässt das Schauspielhaus Ende Februar seine Version des Dänenprinzentrauerspiels folgen. Mittendrin aber, und nicht nur mit einer sehenswerten „Widerspenstigen“ die Shakespeare-Company. Denn die Institution beweist nicht nur seit 20 Jahren, dass ein Sprechtheater kaum mehr Programm braucht als den großen Briten. Sie belegt sogar zur Feier ihres Jubiläums, dass es gar nicht genug Shakespeare auf einmal geben kann: Von heute an bis Sonntag wird das Ensemble eine Woche jeden Tag spielen; sechs Tage lang, gut 20 Bühnenstunden.

Gezeigt werden drei große Trauerspiele – „Othello“, „König Lear“, „Romeo und Julia“ – und drei abendfüllende Komödien – neben der jüngsten Produktion sind das der enigmatische „Sommernachtstraum“ sowie „Die Komödie der Irrungen“ – und alles vom selben Autor: Mit Sophokles jedenfalls wäre das nicht zu machen. Der gilt als zu spröde: Allenfalls fänden sich Darsteller, die eine solche Ochsentour mit Graeco-Tragödien mitmachen würden. Aber ZuschauerInnen?

Zu Shakespeare hingegen kommt selbst das Publikum: „Ausverkauft“, vermeldet die Homepage des Ensembles für alle sechs Vorstellungen. Vielleicht gebe es noch Restkarten an der Abendkasse, mutmaßt Company-Sprecherin Tine Theissen. „Für die Irrungen und Othello sind die Chancen ganz gut.“ Völlig aussichtslos aber sei’s bei „Lear“. „Der ist schon überbucht.“

Company-Geschäftsführerin Renate Heitmann ist sichtlich stolz auf die Ensemble-Leistung. Die Truppe vom Leibnizplatz habe in Deutschland das größte Shakespeare-Repertoire, sagt sie. „Jetzt können wir es einmal komprimiert zeigen.“ Die Gefahr der Übersättigung sehe sie nicht. Das Angebot des Ensembles sei eben „so erfrischend, dass uns die Leute gern sehen“. Und die Schauspieler müssten auch nicht sonderlich motiviert werden, die 400 Jahre alten Dramen zu spielen. Die Shakespeare-Woche werde von deren „Enthusiasmus getragen“. Das ist umso erstaunlicher, als dass die sechs Stücke aus dem eigenen Repertoire stammen: Die älteste Produktion ist „Lear“. Die Version hatte vor drei Jahren Premiere. Aus dem vergangenen Jahr stammen „Othello“ und „Sommernachtstraum“, „Romeo und Julia“ sind, wie die „Irrungen“ ,seit 2001 im Spielplan.

Was aber lässt die Bremer zu so enthusiastischen Shakespeare-Afficionados werden? Denn immerhin, ein ganz dem elisabethanischen Autor verschriebenes Theater findet sich jenseits des englischen Sprachraums sonst kaum. Und wie gesagt: Ein so großes Shakespeare-Repertoire sucht in Deutschland seinesgleichen. Wäre es die Anglophilie der Hansestädter? Dann müsste doch Hannover die Nase vorn haben. Dort waren die Beziehungen zum Empire stets viel intimer.

Auf eine weitaus plausiblere Antwort hat die nach wie vor, ja immer mehr florierende literaturwissenschaftliche Forschung erst jüngst hingewiesen. Als besonders aufschlussreich werden in dieser Branche die Untersuchungen der deutschen Shakespeare-Forscherin Hildegard Hammerschmidt-Hummel gepriesen. Und in der Tat hat die Professorin der Universität Mainz nicht lediglich mit Hilfe des Bundeskriminalamtes die unabweisbare Nicht-Echtheit des berühmten Chandos-Porträts bewiesen. Vielmehr hat sie den philologischen Nachweis angetreten, dass – nein, nicht nur, dass es Wiliam Shakespeare wirklich gab, sondern dass der Dichter „Mitglied einer katholischen Geheimorganisation“ war. Kurz: Die Dramen sind nichts anderes als camoufliertes Jesuitentheater, das, subtil, die Lehre des Katholizismus in die Augen und Ohren der Zuschauer träufelt. Und ihnen verdeutlicht: Du bist ein armer Sünder.

In Münster oder Köln oder auch in Mainz – fest in der Hand des römischen Klerus – fehlt der Bezugsrahmen für dieses dramaturgische Missionswerk. Ganz anders aber in der säkular sich gebenden, aber von frühesten Reformationszeiten an protestantisch dominierten Stadt Bremen. Hier es vermag es seine gesamte subversive Kraft zu entfalten. Und natürlich das geheime, seit Jahrhunderten genährte und frustrierte Bedürfnis der freien Bürger zu befriedigen – nämlich zurückzukehren in den Schoß der allein selig machenden Kirche. Und das ganz ohne dass sie’s merken: Genial.

Benno Schirrmeister