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Archiv-Artikel

Umstieg beim Ausstieg

Der Senat tendiert zu radikalerem Ende bei der Wohnungsbauförderung. Ein Brief von Senator Peter Strieder aber macht SPD-Abgeordnete nachdenklich. Er verweist auf einen extremen Mietanstieg

von STEFAN ALBERTI

Der Streit um die Förderung im sozialen Wohnungsbau läuft offenbar auf einen kompletten Ausstieg aus dem milliardenschweren Fördersystem hinaus. Eine Expertenkommission hatte nur einen gemäßigten Ausstieg empfohlen. Es gebe eine Neigung zum von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) geforderten Totalausstieg, heißt es nun aus der Landesregierung. Die Entscheidung soll nächsten Dienstag fallen. In der SPD-Fraktion ist hingegen ein Brief von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder, der vor einem Totalausstieg warnt, nicht ohne Wirkung geblieben. Einige Abgeordnete seien nachdenklich geworden, sagte Fraktionssprecher Hans-Peter Stadtmüller.

Hinter dem Streit steht die viel kritisierte Wohnungspolitik vergangener Jahrzehnte. Die jetzt auf der Kippe stehende Anschlussförderung für rund 25.000 Wohnungen war bislang fällig, wenn der Mietpreis und die eigentlichen Kosten, die so genannte Kostenmiete, auch nach Ende der Grundförderung auseinander klafften: Gegenwärtig im Schnitt 4,50 Euro gegenüber 12 Euro. Frei finanziert hätte sich oft billiger bauen lassen, meinen Kritiker. Hartmann Vetter, Chef beim Berliner Mieterverein, sieht im bisherigen System eine „gigantische Vermögensverschiebung von der öffentlichen Hand in die Kassen privater Investoren“.

Der Streit über den Ausstieg schien im Dezember kurzfristig schon beendet. Nachdem sich Sarrazin und Strieder über Monate nicht einigen konnten, werkelte im Auftrag des Senats eine Expertenkommission an einem Vorschlag. Strieder hatte sich wegen zu erwartender sozialer Härten und rechtlicher Bedenken kritisch zu einem Ausstieg geäußert. Sarrazin hingegen drängte darauf, weil die Fördergelder im Haushalt nach den Personalkosten der größte Posten sind. Die Kommission schlug einen Kompromiss vor, den sich Strieder zu Eigen machte: Ende der jetzigen Regelung, aber neue Verträge zwischen Land und Eigentümer. Fast ein Drittel der ohne Ausstieg fälligen 3,3 Milliarden Euro soll sich dadurch sparen lassen.

Alter Wein in neuen Schläuchen, meinten Kritiker zu dem Kommissionsvorschlag. SPD-Linke sahen einen Etikettenschwindel, die Initiative Bankenskandal sprach von einer „Ausstiegslüge“. Sarrazin legte Berechnungen vor, nach denen sich angeblich weitere hunderte Millionen Euro einsparen lassen. Konservativere SPD-Abgeordnete hingegen stützten Strieder und die Empfehlung der Experten – was Fraktionschef Michael Müller als unabgestimmt rügte. Frühestens am Wochenende bei einer Klausur will sich die SPD festlegen. Der Koalitionspartner PDS widmet dem Thema heute seine Fraktionssitzung.

Strieder, auch SPD-Landeschef, hatte die SPD-Abgeordneten jüngst mit einem Schreiben überrascht. Darin warnt er davor, „blindlings einen Schlusstrich zu ziehen“, und hält Sarrazin vor, falsch zu rechnen. Er verweist zudem darauf, dass Vermieter bei einem Totalaustieg die Miete bis zur Kostenmiete hin vervielfachen können. Mietervereinschef Vetter bestätigte das.

Unterstützung erhielt Strieder von der FDP-Fraktion. Sie hält einen Ausstieg für teurer als weitere Förderung und warnt vor „dem unhaltbaren Crashkurs des Finanzsenators“. Die Grünen-Fraktion neigt der Sarrazin-Linie zu. Sie hält aber an ihrem eigenen Vorschlag fest, bei dem das Land einen Großteil der Wohnungen übernimmt und binnen zehn Jahren wieder abstößt.

In der Finanzverwaltung äußerte man sich gestern verwundert über Strieders Vorwurf falschen Rechnens. Senator Sarrazin habe genau die Zahlen der Expertenkommission benutzt, sagte sein Sprecher Claus Guggenberger. Vizesenatssprecher Günter Kolodziej sprach von unterschiedlichen Berechnungen mit unterschiedlichen Ergebnissen. „Objektive Zahlen sind da schwer zu kriegen.“