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Archiv-Artikel

Der rot-weiße Mythos meldet sich zurück

Trainer Luis Aragonés führt Atlético Madrid zum 2:2 gegen Real und langsam wieder an den angestammten Platz

MADRID taz ■ „Ich will die Mannschaft so schnell wie möglich wieder dahin führen, wo sie hingehört“, erklärte Luis Aragonés zu Beginn der Saison. Spätestens seit dem vergangenen Sonntag zweifelt niemand mehr daran, dass der Trainer von Atlético Madrid sein Ziel erreicht hat. Beim Lokalderby – dem ersten seit drei Jahren – gegen den Champions-League-Gewinner Real holten sich die Rot-Weißen einen Punkt. Das 2:2 fiel in der letzten Sekunde. Demitrio Albertini setzte einen Freistoß in die linke obere Ecke.

„Ein Punkt, der uns nicht viel nützt“, bewertete Luis Aragonés trocken das Ergebnis im Stadion der Königlichen. Er glaubte, dass seine Mannschaft „den Sieg verschenkt hat“. Die Fans sehen es anders. Nach einem emotionsreichen Spiel mit zwei Platzverweisen (einem pro Mannschaft) und drei Elfmetern – Moreno von Atlético verwandelte einen, Luis Figo von Real traf einmal, seinen zweiten hielt Keeper Burgos – hatte der hauptstädtische Unterdog dem reichen Real gezeigt, dass die Hölle der zweiten Liga vergessen ist.

Der Erfolg hat einen Namen: Luis Aragonés. Der 65-jährige Coach rettete die Elf vom Manzanares. Nachdem Atlético im ersten Jahr in der zweiten Liga (2000/2001) am letzten Spieltag den Aufstieg verpasste, fiel Vereinspräsident Jesús Gil y Gil nur noch eine Lösung ein: ein Hilferuf an Aragonés.

Dieser hatte gerade den RCD Mallorca in die Champions League geführt. Dennoch zögerte er nicht und trat den schweren Gang in die zweite Liga an. Seit über 40 Jahre ist Luis – wie der Weißhaarige von den Fans kurz und liebevoll genannt wird – Atlético verbunden, in den 70er-Jahren als Spieler, später immer wieder als Trainer.

Von „Farben spüren“ und „Stolz“ war in seinen ersten Pressekonferenzen zurück in Madrid viel die Rede. Symbolfigur und Trainergeschick, beides trug seinen Teil zum Erfolg in der nächsten Spielzeit bei. Als unbestrittener Spitzenreiter der zweiten Liga meldete sich Atlético zwölf Monate später im Oberhaus zurück. Luis Aragonés, der rot-weiße Mythos, hatte es wieder einmal geschafft.

„Wenig Geld und viel Fantasie“ hieß die Devise, die Sportdirektor Paulo Futre Atlético für die Primera División vorgab. Große Persönlichkeiten wie Erzrivale Real Madrid gibt es bei Atlético nicht. Die Kassen sind chronisch leer, und der Club wird seit drei Jahren von einem gerichtlich eingesetzten Zwangsverwalter überwacht. Schließlich steht Präsident Gil gleich in mehreren Betrugsverfahren vor Gericht.

Luis Aragonés passte sich der schwierigen Situation an. Am Anfang der Saison experimentierte er lange. Immer wieder stellte er die Mannschaft um. Jetzt scheint sie zu funktionieren. Das Unentschieden bei Real Madrid und der Sieg in der Woche zuvor bei Deportivo La Coruña sprechen dafür. Der Schütze des rettenden Tores vom Wochenende, Demitrio Albertini, kam zu Beginn der Saison vom AC Mailand. Zusammen mit Javier Moreno, der vor ein paar Jahren mit Deportivo Alavés im Uefa-Cup für Furore sorgte, und Emerson, der in La Coruña abgeworben wurde, baut er das Spiel auf. Im Sturm steht Fernando Torres, ein erst 18 Jahre alter Spieler aus der eigenen Jugend, der von der Chefetage seit zwei Jahren gezielt zum Star aufgebaut wird. Etwas, was Luis Aragonés gar nicht gerne sieht. Immer wieder lässt er ihn die Bank drücken. „Torres muss noch viel lernen, damit aus ihm ein wirklich großer Fußballer wird“, sagt der Trainer. Über 40 Anfragen für Interviews bekam die rot-weiße Nummer 9 vor dem Derby. Er lehnte sie alle ab. Torres weiß, was sein Coach von ihm erwartet.

Nach dem Derby vom Wochenende befindet sich Atlético Madrid einen Spieltag vor Ende der Hinrunde auf Platz 8 der Primera División. Nur zwei Punkte trennen die Rot-Weißen von einem Uefa-Cup-Platz. „Ich hoffe, dass sie die ganze Spielzeit über so motiviert weiterkicken wie bisher“, wünscht der Verteidiger von Real Madrid, Roberto Carlos, dem Gegner nach dem Spiel vom Sonntag anerkennend. Und die größte spanische Tageszeitung, El País, sieht Atlético Madrid seit einigen Wochen gar als Mitstreiter um einen Champions-League-Platz.

REINER WANDLER