: Hypotheken der Verdrängung
Bloß nicht zu viel: In München wird über die Einrichtung eines NS-Dokumentationszentrums gestritten
Noch ein Dokumentationszentrum? Aus Berliner Sicht scheint die Frage berechtigt. Aber in der einstigen „Hauptstadt der Bewegung“ scheiterten bisher alle Versuche, vor Ort daran zu erinnern, dass Hitler ein Produkt Münchens war, wie Carl Amery einmal treffend formulierte. Zwar ist das bauliche Erbe des Regimes – vom „Führerbau“ am Königsplatz zum „Haus der deutschen Kunst“ an der Prinzregentenstraße – nicht zu übersehen. Rückschlüsse auf den mächtigen Verwaltungs-, Propaganda- und Vernichtungsapparat sind möglich, aber Hinweise sind rar und versteckt. Erst seit 1996 informiert eine von den Architekten Piero Steinle und Julian Rosefeldt anlässlich der Ausstellung „Bürokratie und Kult“ initiierte Tafel am Königsplatz über die dichte Topografie der Macht rundum.
Reicht das? Nein, sagt die Stadt und befürwortet einstimmig die Einrichtung eines Dokumentationszentrums. „Nicht ganz“, lautet das Fazit eines Gutachtens des Instituts für Zeitgeschichte aus der Feder Volker Dahms, das bereits mit einer Empfehlung der Ministerin für Unterricht und Kultus, Monika Hohlmeier, an den Landtag weitergereicht wurde. Das Gutachten stiftete etlichen Aufruhr bei dem zweiteiligen, hochkarätig besetzten Symposion „Ein Dokumentationszentrum in München“, das am Wochenende seinen Abschluss fand. Der Verdacht lag nahe, man habe vergeblich diskutiert. Die ganze Veranstaltung ein Farce.
Der Affront: Dahm diskreditiert die Aufklärungseinrichtung als mehr oder minder überflüssiges „Prestigeprojekt“ in Nähe des Kunstareals, das gerade in bester Tradition weiterausgebaut wird. Trotz ausführlicher historischer Präliminarien über die Bedeutung Münchens als „Nährboden für Hitler und seine Partei“ kommt der Gutachter zu dem Schluss, dass München dann doch nicht so wichtig war und ein Dokumentationszentrum internationalen Zuschnitts mit angeschlossener Forschungsstelle „nicht zwingend erforderlich sei“. Dahm plädiert für eine „Lokalgeschichte“. Dick gedruckt vermerkt er: „Eine Dokumentation diesen Zuschnitts würde auch den Bedürfnissen der historischen Bildung in Bayern genügen.“ Bloß nicht zu viel und zu intensiv. Ein beschilderter Parcours an 35 Tatorten und drei kleine Informationsstützpunkte könnten die Unterrichtspflicht erfüllen, so Dahm. Entsprechend spöttisch fiel die Reaktion aus.
Dabei geht der Gutachter selbstbewusst davon aus, dass sein Institut mit dem Dokumentationszentrum auf dem Obersalzberg bereits alles gesagt habe. Zusammen mit dem Dokumentationszentrum auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände und den KZ-Gedenkstätten könnten sich in einer Münchner Einrichtung nur kostspielige Redundanzen zulasten der Steuerzahler ergeben. Doch an keinem der genannten Orte wird geklärt: warum ausgerechnet München? Die politisch genauso brisante wie aktuelle Frage nach den Anfängen könnte hier und nur hier erläutert werden. Und auch beim Verdrängen der Geschichte hat München mehr als 50 Jahre Exemplarisches geleistet. Die Gestapo-Zentrale wurde 1964 abgerissen, das Grundstück zur Neubebauung an die Landesbank verkauft. Die markantesten Verwaltungsbauten sind inzwischen dem Guten, Wahren und Schönen gewidmet. Typisch Kunststadt. Bleibt die viel diskutierte Frage: wohin mit einem zentralen Dokumentationszentrum?
In einen der Nazibauten oder daneben? Iris Lauterbach vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte mit Sitz im ehemaligen „Verwaltungsbau der NSDAP“ erklärte, dass Aufklärungsarbeit weder in den Bunkern des Administrationsviertels noch vor dem Schreibtisch Hitlers in der heutigen Musikhochschule stattfinden kann. Weder die „Mystifizierung des Untergrunds“ noch das Eintauchen in die historische Kulisse würden helfen, den komplizierten Apparat zu verstehen. Es gelte, die hinterlassenen Worte aus Stein zu brechen. Deswegen ein Neubau auf dem Grundstück des „Braunen Hauses“, das auf Beschluss der Alliierten gesprengt wurde. Ein historischer Ort, Ausgangspunkt der auch baulichen Machtergreifung, kommentiert durch einen bewusst distanzierten Neubau, der erklärt, statt zu illustrieren. Winfried Nerdinger, Leiter des Architekturmuseums, forderte nachdrücklich einen internationalen Architekturwettbewerb. Nur ein Neubau könne Zeichen setzen für die nachgeholte Auseinandersetzung. Nicht Historiker, sondern Architekten sollten sich über die Machbarkeit Gedanken machen. Doch die Ortswahl hat einen Schönheitsfehler: Das Grundstück gehört dem bayerischen Staat. Nicht nur darüber werden also Bürgermeister und Erziehungsministerin am Dienstag zu reden haben. Bis das Dokumentationszentrum verwirklicht werden kann, vielleicht zum Stadtjubiläum 2008, liegt alle Last der lokalen Geschichtsaufklärung beim Münchner Stadtmuseum.
Die skandalöse Nichteröffnung der von Brigitte Schütz konzipierten Dauerausstellung „Nationalsozialismus in München – Chiffren der Erinnerung“ und die Diffamierung als Devotionalienschau haben vor allem gezeigt, wie sehr sich die Stadt vor falscher Rezeption fürchtet. Die, die Devotionalien suchen, werden in München allenthalben fündig. Nun darf also die Ausstellungsmacherin – mit Konzessionen – weitermachen. Die neue Abteilung des Stadtmuseums soll „in wenigen Monaten“ eröffnet werden. Auf sage und schreibe 300 Quadratmetern soll der gesamte Stoff in zwölf Kapiteln abgehandelt werden. Ein musealer Wahnsinn. München braucht ein Dokumentationszentrum, dringend.
IRA MAZZONI