: Europas Interessen in Somalia
Die geplante Somalia-Marinemisson soll Hilfstransporte und EU-Fischkutter schützen
BRÜSSEL taz ■ Beim gestrigen Treffen der EU-Verteidigungsminister ist es unter anderem um das Bestreben der EU gegangen, vor der Küste Somalias militärisch gegen Piraten einzugreifen. Am 15. September hatten die EU-Außenminister dafür bereits die Bildung einer Koordinationseinheit namens „EU Navco“ beschlossen.
Dabei geht es vor allem um den Schutz humanitärer Hilfstransporte nach Somalia, wo infolge von Kämpfen nach UN-Angaben 2,4 Millionen Menschen auf internationale Lebensmittelhilfe angewiesen sind. Die Lebensmitteltransporte des UN-Welternährungsprogramms WFP, meist südafrikanische Schiffe mit Mais, wurden bisher von der kanadischen Fregatte „Ville de Québec“ geschützt, doch dieser am 6. August begonnene Einsatz endete am 27. September. Die kanadische Eskorte hatte vorherige Einsätze von französischen, dänischen und niederländischen Kriegsschiffen abgelöst.
Aus Sicht des WFP sind solche Militäreskorten unverzichtbar. 90 Prozent der internationalen Lebensmittelhilfe für Somalia werden auf dem Seeweg geliefert, die Mengen sollen sich bis Jahresende auf 32.000 Tonnen im Monat verdoppeln, um der humanitären Katastrophe in Somalia zu begegnen. Die Reeder, die Hilfstransporte losschicken, verlangen Militärschutz. Mit Erfolg: Seit Jahresbeginn ist kein einziges WFP-Schiff vor Somalia angegriffen worden, während ansonsten 49 Angriffe auf Frachtschiffe registriert wurden – im gesamten Jahr 2007 waren es 31 gewesen. WFP-Regionaldirektor Sory Ouane fordert nun einen permanenten Eskortemechanismus, um nicht immer wieder bei einzelnen Ländern neu anfragen zu müssen.
Somalias Piraten sind nicht nur für Frachtschiffe eine Bedrohung. Ein weiterer Grund für die EU, militärisch einzugreifen, ist der Schutz europäischer Fischereiinteressen. Die gesamte europäische Industriefischerei im Indischen Ozean vor Somalia ist derzeit lahmgelegt, nachdem es zahlreiche Überfälle durch somalische Piraten gab. Von 55 Fischkuttern aus der EU, die eine Genehmigung zur Fischerei in diesem Teil des Indischen Ozean besitzen, sind bereits 40 Ziel von Angriffen gewesen.
Die vor Somalia aktiven Thunfischer aus Frankreich und Spanien haben sich deshalb bereits in die Seychellen zurückgezogen. Im April hatte die spanische Thunfischervereinigung ANABAC bereits das „gravierende Sicherheitsproblem in der somalischen Fischereizone“ moniert, nachdem eines ihrer Boote angegriffen wurde, obwohl es sich 240 Meilen von der Küste entfernt außerhalb der somalischen Hoheitsgewässer befand.
Das Grundproblem hierbei ist das Verschwinden des somalischen Staates, der seit dem Sturz von Diktator Siad Barre durch Rebellen 1991 nicht mehr existiert. Viele somalische Warlords, die einzelne Landesteile kontrollieren, verkauften zu unterschiedlichen Zeitpunkten Fischereilizenzen nach Europa oder Asien. Die ausländischen Industriefischer stritten sich dann mit somalischen Fischern, nicht nur an den Küsten, sondern auch außerhalb der Territorialgewässer Somalias. Im Laufe der Zeit bildeten sich Piratenflotten, die die ausländischen Kutter systematisch angriffen, um den Forderungen der somalischen Fischer Nachdruck zu verleihen. Es ist nicht auszuschließen, dass manche der Fischer und Piraten identisch sind. FRANÇOIS MISSER