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Archiv-Artikel

Schattenboxen in der UNO

aus New York ANDREAS ZUMACH

„Constructive Ambiguity“ ist eine politische Strategie und hohe diplomatische Kunst zugleich. „Constructive Ambiguity“ – das bedeutet die konstruktive Zweideutigkeit bei der Formulierung eines Kompromisstextes, sodass er möglichst auslegbar bleibt. Seine Urheber sollen sich auch bei Beibehaltung unterschiedlicher Ausgangspositionen auf denselben Text berufen können.

Am besten beherrscht und am erfolgreichsten eingesetzt wird diese Kunst auf der internationalen diplomatischen Bühne von den USA und Großbritannien. Vor allem im Gespann sind Washington und London unschlagbar. Das zeigen die Entstehungs- und Umsetzungsgeschichte aller wichtigen Irak-Resolutionen des UN-Sicherheitsrats seit dem irakischen Überfall auf Kuwait im August 1991. Zunächst erregt Washington mit harten, überzogenen Vorlagen den Widerspruch der anderen Ratsmitglieder. Dann tritt London mit Vermittlungsvorschlägen an. Am Ende kommt eine Resolution heraus, die alles enthält, was die USA tatsächlich benötigen für ihr weiteres Vorgehen.

Letztes Beispiel ist die Resolution 1441 vom 8. November letzten Jahres. In dieser Resolution konnten Washington und London ihre Forderung nach einer ausdrücklichen Ermächtigung des Rates zu militärischen Maßnahmen gegen Irak (noch) nicht durchsetzen. Die drei anderen vetoberechtigten ständigen Sicherheitsratsmitglieder Frankreich, Russland und China waren gegen jeden Automatismus und bestanden darauf, dass es zur Ermächtigung für militärische Maßnahmen einer zweiten Resolution des Rates bedürfe.

Die Kompromissformulierung der Resolution 1441 sieht vor, dass der Rat in einem ersten Schritt zunächst die Feststellung treffen muss, dass Bagdad „schwerwiegend“ gegen die Auflagen der Resolution „verstoßen“ hat. Über die Konsequenzen aus dieser Feststellung sollen dann nur noch „Konsultationen unter den Mitgliedern des Rates“ stattfinden. Das Abstimmungsergebnis von 15 zu 0 Stimmen für die Resolution 1441 erweckte vielerorts den Eindruck von Konsens im Rat. Diese Illusion ist im Laufe der zurückliegenden Woche endültig geplatzt. Alle fünf ständigen Mitglieder haben öffentlich deutlich gemacht, dass sie die Resolution 1441 jeweils im Sinne ihrer Ausgangspositionen bei den damaligen Verhandlungen interpretieren.

Die USA und Großbritannien sehen in der Resolution 1441 eine ausreichende Grundlage für einen Krieg gegen Irak und betonen ihre Absicht, diesen Krieg auch ohne einen weiteren Beschluss des Sicherheitsrats zu führen. Und sie fordern das Ende der UN-Inspektionen nach dem Bericht, den Chefinspekteur Hans Blix dem Sicherheitsrat vorlegen wird. Neu ist, dass auch Außenminister Colin Powell diese Position in mehreren Interviews vertrat und damit die „Bremserrolle“, die er nach Meinung mancher Beobachter zunächst innerhalb der Bush-Administration gespielt hatte, öffentlich aufgegeben hat.

In der britischen Regierung hat Premierminister Tony Blair seinen Außenminister Jack Straw wieder an die Kandare genommen. Anfang vorletzter Woche hatte Straw unter dem Eindruck massiver Kritik britischer Auslandsdiplomaten am Kriegskurs von Tony Blair noch öffentlich erklärt, eine zweite Resolution sei unverzichtbare Voraussetzung für militärische Maßnahmen gegen Irak. Auf dieser Position beharren weiterhin mehrere Mitglieder des Kabinetts in London sowie über die Hälfte der Labour-Fraktion im britischen Unterhaus.

Zudem zeigen in den letzten Tagen veröffentlichte repräsentative Umfragen aus Großbritannien und den USA, dass in beiden Ländern bis zu 80 Prozent der Bevökerung gegen einen Krieg ohne eindeutiges UNO-Mandat (sprich: zweite Resolution sind). Auch ist die große Mehrheit der Briten und der US-Amerikaner der Ansicht, dass ihre Regierungen bislang jedenfalls noch keine zwingenden Beweise für „schwerwiegende Verstöße“ Iraks gegen die Resolution 1441 präsentiert haben und damit noch kein zwingender Grund für einen Krieg gegen Bagdad vorliegt.

Ermutigt durch die Signale aus den USA und Großbritannien, nicht auf einer eindeutigen Kriegsermächtigung zu bestehen, haben die Regierungen Frankreichs, Russlands und Chinas öffentlich ihre Forderung nach einer zweiten Irak-Resolution bekräftigt. Nach einer im Berliner Auswärtigen Amt noch im Dezember verbreiteten Fehleinschätzung hatten die drei Regierungen diese Position angeblich bereits mit ihrer Zustimmung zu der Kompromissformulierung in der Resolution 1441 vom 8. November aufgegeben.

Von den Signalen aus Frankreich, Russland und China, keine Resolution mit eindeutigem Kriegsmandat zu unterstützen, fühlte sich wiederum Bundeskanzler Gerhard Schröder ermutigt – und kündigte mit demonstrativer Entschlossenheit an, Deutschland werde bei einer etwaigen Abstimmung im Sicherheitsrat über eine Kriegsresolution keinesfalls mit Ja stimmen.

Der Bundeskanzler kalkulierte dabei, zu einer solchen Abstimmung – bei der auch eine Enthaltung denkbar wäre – werde es angesichts der Haltung der drei Vetomächte schon nicht kommen. Der Bundesregierung bliebe es dann erspart, im Sicherheitsrat bei einer Abstimmung Farbe bekennen zu müssen und damit entweder die Bush-Administration oder die eigene Wählerschaft zu verprellen.

Schröders Kakül könnte aufgehen. Denn hinter den Kulissen wird intensiv an folgendem Szenario für die Zeit nach der Berichterstattung von UNO-Chefinspektor Hans Blix am nächsten Montag gebastelt: Die USA und Großbritannien „konzedieren“ eine Fortsetzung der Inspektionen und die Festlegung weiterer Berichtstermine für Blix – voraussichtlich Mitte Februar und Mitte oder Ende März. Im Gegenzug erklären sich Frankreich, Russland und China bereit, dass sie – sollten dem Rat Beweise für einen „schwerwiegenden Verstoß“ Iraks gegen Resolution 1441 vorgelegt werden, sei es von Blix oder auch von Washington und London – dann nicht mehr auf einer zweiten Resolution bestehen und militärische Maßnahmen der USA und Großbritanniens mehr oder weniger stillschweigend billigen werden. Dem würde sich dann auch die Bundesregierung anschließen.

Dieses Vorgehen, über das zwischen Washington, Moskau, Paris, London, Peking und Berlin derzeit intensiv verhandelt wird, könnte möglicherweise bereits bei einer für nächsten Mittwoch anberaumten Sitzung des Sicherheitsrats offiziell vereinbart werden.

Der Bush-Administation den Weg frei machen für den Krieg gegen Irak würde dieses Szenario allerdings nur, wenn auch die Regierungen der Türkei und Saudi-Arabiens ihre bislang zumindest öffentlich noch als unverhandelbar präsentierte Position aufgeben, dass die USA die Territorien und Luftwaffenbasen dieser beiden Länder nur nach einer zweiten Resolution des Sicherheitsrats für den Krieg nutzen dürfen.