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Archiv-Artikel

Heimliche Götter

In der Ausstellung „Die Tropen – Ansichten von der Mitte der Weltkugel“ trifft zeitgenössische Kunst auf alte Kulturen

VON SASKIA VOGEL

Traurig sind die Tropen nicht. Gutgelaunt begrüßen sie uns 60 Kilometer südlich von Berlin. Die „Tropical Islands“ sind Europas größte Badewelt mit 31 Grad Wassertemperatur. Hier kann der gemeine Städter die schwül-heißen Tropen genießen, ohne ihre Abgründe fürchten zu müssen: „Grüne Hölle“ und Cholera.

Die Farben der Vögel

Damit sind die zwei Seiten der Klischeemedaille bedient. Dabei existieren „die“ Tropen als solche nicht. Schon klimatisch ist das Äquatorialgebiet heterogen, gibt es doch neben den immerfeuchten auch trockene Tropen mit Halbwüsten. In kultureller Hinsicht sind die Tropen noch viel weniger auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen – schon allein, weil sie sich auf 5.000 Kilometer Länge durch fast 100 Nationen ziehen.

„Die Tropen – Ansichten von der Mitte der Weltkugel“ heißt die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, die ihnen nun gewidmet ist. Schon im Eingangsbereich wird der Besucher darauf verwiesen, dass angesichts der thematischen Komplexität „Splitter und Fragmente“, keinesfalls jedoch eine enzyklopädische Kunstschau zu erwarten sei. Die Intention: Vormoderne und zeitgenössische Kunst treten miteinander in den Dialog.

Dafür haben die Kuratoren Viola König und Peter Junge 200 Exponate aus der Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin ausgewählt, die aus allen Teilen der Welt stammen und bis ins achte Jahrhundert datiert werden können. Sie werden neben 85 zeitgenössischen Werken präsentiert, kuratiert von Alfons Hug, Direktor des Goethe-Instituts in Rio de Janeiro. An zwei Orten Brasiliens wurden „Os Trópicos“ bereits in kleinerem Format gezeigt. Dass Hug die deutschsprachig-brasilianischen Beziehungen fördert, ist der Ausstellung deutlich anzumerken. Die 40 zeitgenössischen Künstler sind zu einem großen Teil Brasilianer, oder – wie das Duo Maurício Dias und Walter Riedweg – der eine Brasilianer, der andere Schweizer.

In den Ateliers Rios also wird die „Re-Ästhetisierung“ der Tropen betrieben. „Ästhetisch“ waren diese unterdessen schon immer. So wehrte sich schon der Expeditionsreisende Karl von den Steinen Ende des 19. Jahrhunderts gegen die Abfertigung indigener Kunst als „Schnörkel“. Farbenfrohe Kringel malt Beatriz Milhazes auch noch im 21. Jahrhundert. Ihr Bild „Sampa“ in knalliger Acrylfarbe hängt im Raum „Die Farben der Vögel“. Gegliedert ist die Schau in sieben Themenabschnitte, angelehnt an die Kapitelüberschriften aus Claude Levi-Strauss’ „Traurige Tropen“. Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, dass der berühmte Ethnologe im November diesen Jahres hundert wird.

Überhaupt wird der Komplex der europäischen „Entdeckung“ der Tropen großzügig ausgespart. Die Ausstellung richtet ihren Blick stattdessen beherzt nach vorne. Ein Beispiel: Der Raum „Das kurze Leben“ zeigt Menschenbilder und Ahnenkult. Hier ist es den Kuratoren gelungen, die „Tropen der Vergangenheit“ in einen spannungsreichen Kontrast zu den „Tropen der Gegenwart“ zu setzen. Zuerst durchschreitet die Besucherin ruhig arrangierte Reihen afrikanischer Holzfiguren, der Blick fällt auf uralte Würdenträger und Dämonenmasken aus Sri Lankas albtraumhafter Schattenwelt. Dann wird man unvermittelt mit der lärmenden Videoinstallation „Câmera Foliã“ von Dias und Riedweg konfrontiert: eine Candomblé-Zeremonie in einer brasilianischen Großstadt, gedreht mit einer derart schnellen Kameraführung, dass der Besucher selber beinahe in Trance gerät. Der religiöse Ahnenkult ist angekommen in der Moderne, vermischt mit Hektik, Technik und Autohupen.

Eine Ironisierung der Ambitionen der Europäer, die unbändigen Tropen zu domestizieren, vermittelt Caio Reisewitz mit seiner Fotografie „Palmengarten III (Frankfurt/M)“. Während im Treibhaus die Bewässerung per Knopfdruck geregelt wird („Tropical Island“ lässt grüßen), waren bei den Azteken hierfür noch göttliche Mächte zuständig – kontrastreich steht gleich neben der Fotografie eine Skulptur des Regengottes Tlaloc. Enttäuschend ist, dass die Umweltzerstörung – ebenfalls ein Teil tropischer Realität – im Raum „Nach der Sintflut Natur und Landschaft“ kaum aufgegriffen wird.

Sexualisierte Gewalt

Erfrischend ist die Ausstellung, weil sie den Besucher stets aus der Romantik des „Ach, wie ist das schön“ in das Hier und Jetzt hineinreißt. So ist im Raum „Das verbotene Lachen“ gleich neben wunderschönen indischen Saris ein Brautkleid arrangiert – angefertigt von einem Prostituiertenkollektiv aus Schleiern und Kondomen. Denn auch das sind die Tropen: Städtische Moloche voller sexualisierter Gewalt und eklatantem sozialem Gefälle.

Uralte „Tropenkunst“ mit modernen Werken zu konfrontieren, das ist die Stärke der Ausstellung. Der detailreiche Wandel der Kunst hätte im Einzelfall sorgfältiger nachgezeichnet werden können. Beispiel Candomblé: Afrikanische Sklaven brachten ihre Religion einst nach Brasilien mit. Hier entwickelte sie sich beständig weiter und ist heute selbstbewusster Ausdruck der Afro-Brasilianer. Wie die Orixás-Götter in der afrikanischen Kunst repräsentiert wurden und es heute noch werden, wie sie sich nach ihrer Überführung in die südamerikanischen Tropen verändert haben – warum greift die Ausstellung solch interessante Fäden nicht auf?

Die thematische Brücke hätte bis in den Raum „tropischer Barock“ führen können, in dem Fotografien von vergoldeten Kathedralen aus Salvador da Bahia zu sehen sind. Denn die Goldgier der Kirche basierte auf der Sklaverei, und der Candomblé konnte angesichts der Repressionen des Katholizismus nur unter dem Deckmantel des Synkretizismus existieren. Das ist ein Kontext, der hätte erläutert werden können.

Trotz kleiner Makel ist die Tropen-Schau sehenswert und liefert einen kulturellen Energieschub. Es wäre auch schlimm gewesen, wenn nicht: Denn laut der Kuratoren ist die Ausstellung ein Schritt zum geplanten Humboldt-Forum im Berliner Schloss, in dem zukünftig außereuropäische Kunst gezeigt werden soll.

„Die Tropen – Ansichten von der Mitte der Weltkugel“, Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, 10963 Berlin. Bis 5. Januar, Mittwoch bis Montag 10 bis 20 Uhr. Der Katalog erscheint im Kerber Verlag Bielefeld und kostet 32 Euro