: Lula reformiert die Außenpolitik
Der brasilianische Präsident nutzt die Spielräume, wo sie sich bieten. Mit seiner Verhandlungsinitiative für Venezuela stößt er in Washington auf Misstrauen
PORTO ALLEGRE taz ■ Innenpolitisch war der Regierungsstart des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva eine Fortsetzung des Wahlkampfs mit anderen Mitteln: symbolische Gesten gegen den Hunger bei gleichzeitiger Fortsetzung des Sparkurses von Vorgänger Fernando Henrique Cardoso. Die Regierungsmaschine kommt nur langsam in Gang, und das Parlament befindet sich in der Sommerpause.
In der Außenpolitik jedoch steuert Lula, der heute nach Berlin kommt, beherzt um. In Sachen Venezuela war er bereits im Dezember vorgeprescht – zehn Tage nach seinem Antrittsbesuch in Washington. Seinen Emissär Marcos Aurélio Garcia schickte er nach Caracas und veranlasste Cardoso dazu, dem bedrängten Präsidenten Hugo Chávez eine Schiffsladung Benzin zu liefern.
Gleich nach Amtsantritt griff er eine Idee von Chávez auf: die Bildung einer „Gruppe der Freunde Venezuelas“ zur Vermittlung in der Konfrontation zwischen Regierung und Oppostion. George W. Bush, der den „Hinterhof“ vernachlässigt hatte, sah sich nun in Zugzwang, zumal die Öllieferungen aus Venezuela wegen des wochenlangen Streiks drastisch zurückgegangen sind und damit die Vorbereitungen auf einen Irakkrieg zusätzlich behindern.
Am 15. Januar war es so weit: Zur Amtsübernahme des ecuadorianischen Linksnationalisten Lucio Gutiérrez hob Lula in Quito die „Gruppe der Freunde“ aus der Taufe. Bushs Lateinamerikaberater Otto Reich blieb nichts anderes übrig, als widerwillig von einer „guten Idee“ zu reden . Die USA sind wie Spanien in der Sechsergruppe vertreten, nicht aber Frankreich, Russland oder China, wie es Chávez vorgeschwebt hatte. Lulas Begründung: „Um einen Konsens zu erreichen, sind Leute von gegensätzlicher Denkweise nötig“, und die USA stünden nun einmal Venezuelas Opposition nahe.
In Südamerika müsse Brasilien endlich seine „natürliche Führungsrolle“ übernehmen, so Lula in Quito. Zumindest die Argentinier scheinen damit gut leben zu können. Ebenso wie mit Chávez ist Lula bereits dreimal mit seinem argentinischen Kollegen Eduardo Duhalde zusammengetroffen. Seine Initiative zum „Wiederaufbau“ des siechen Wirtschaftsbündnisses Mercosur bei gleichzeitiger Erweiterung um soziale und politische Aspekte wurde in Buenos Aires hoffnungsvoll aufgegriffen.
Gewöhnungsbedürftig ist Lulas Kurs für konservativere Berufsdiplomaten. Über den „Amateur“ Garcia habe er im Venezuelakonflikt Partei ergriffen, heißt es aus dieser Ecke, die „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ von Nachbarn sei riskant. Nach einer anderen Lesart knüpft Lula an die Tradition einer selbstbewussten Außenpolitik an, die Cardoso weitgehend in Sonntagsreden verbannt hatte. Dafür stehen zwei Karrierediplomaten: Celso Amorim, zuvor Botschafter in London, war bereits 1993 bis 1995 Außenminister. Und der Linke Samuel Pinheiro Guimarães, der unter Cardoso wegen seiner scharfzüngigen Kritik an der geplanten Freihandelszone FTAA abgestraft worden war, ist nun die Nummer zwei. GERHARD DILGER