Strenge Formen

Die Gedichte in Franz Josef Czernins Band „elemente, sonette“ sind mit allen theoretischen Wassern gewaschen

Diese Gedichte werfen keine Bilderan die Wand, behaupten keine Ideen

„Worte, Worte – Substantive. Sie brauchen nur die Schwingen zu öffnen und Jahrtausende entfallen ihrem Flug.“ Für Gottfried Benn waren Substantive die einzig bedeutenden Konstituenten der Lyrik. Sie allein trugen den nötigen „Wallungswert“. Verben waren notwendiges Übel, Adjektive zumeist überflüssig. Und tatsächlich dürfte in der modernen Lyrik der Anteil substantivischer Versgebilde gegen die verbal dominierten ziemlich übermächtig sein. Statische Gedichte eben.

Ganz andere Töne kommen nun aber aus der Steiermark: Die neuen Gedichte von Franz Josef Czernin sind ein rauschendes Fest für Verben und Partizipien. Selten war ein Buch von der ersten bis zur letzten Seite derart in Bewegung. „elemente, sonette“ heißt es, und es sind derer 129 Stück, fein säuberlich den vier Elementen zugeordnet und mit einem klugen Nachwort versehen. Mit Empedokles begreift Czernin die Elemente nicht allein als etwas Stoffliches, sondern zugleich als alles durchdringende Prinzipien. Daher der enorme Bewegungsdrang in den Versen. Diese Gedichte werfen keine Bilder an die Wand, behaupten keine Ideen, sie sind ein permanentes Werden: „sprudelnd heraus, doch dicht hält wasser im aufwallen,/ da wendig mund dreht tropfen, reich sich auf, ort sprüht/ begeistert, mich rings weiss beleckt, wie schwall dir blüht,/ randvoll, doch fasslich; es ist das zusammenprallen“.

Was hier zusammenprallt, ist die artifizielle und analytisch gedachte Form des Sonetts mit einer starken inneren Dynamik und sprachlichen Sinnlichkeit – gewissermaßen als eine Art Übertragung dessen, was die Vorsokratiker in den Elementen sahen, auf die Gestalt des Gedichts. So erscheint die strenge Form nahezu ideal, und Czernin entwirft sie neu, ohne dass er sich ihrer Tradition entledigen müsste. Obschon an Reim und Versmaß eng gefesselt, bricht er die herkömmliche Syntax auf, stellt Satzteile um, lässt aus und dreht lange elliptische Schleifen. Sein Material findet er mit fast enzyklopädischer Akribie im Wortschatz der Idiome. Wer sich schon immer einmal darüber wundern wollte, wie sehr unsere Umgangssprache vom Symbolgehalt der Elemente durchdrungen ist – wie wir uns anfeuern, in Grund und Boden schämen, uns das Wasser reichen, aus allen Wolken fallen (oder wie bei Czernin mit einer wunderbar narzisstischen Spiegelung in alle Wolken) –, der könnte diese Texte auch als Wörterbuch der Redewendungen lesen. Dass es dabei auch mal derber zur Sache geht, versteht sich von selbst: „es stockt mein blut, der schweiss in solchem zeug, das dreck/ schleudert, so schimpflich gliedernd wort im schwall: der fickt/ sich selbst, wo wir uns prügeln, vögeln um den fleck,/ gebaut als mist, bis, wund, der punkt heraus dies rückt.“

Seit Ende der Siebziger begleitet Czernin seine dichterische Arbeit beständig mit poetologischer Reflexion. In diesem Buch nun fallen beide Seiten ineinander. Die Sonette verweisen mit jeder Zeile auf ihre ästhetischen Vorgaben, wie auch die Elemente in ihrer konkreten Erscheinung auf ihre inneren Prinzipien verweisen.

Buchstaben werden so zu Elementarteilchen, die zueinander in Beziehung treten, sich anziehen, abstoßen, in Kräftefeldern umeinander kreisen, sich ineinander auflösen und zu neuen Ordnungen zusammenfinden. Konsequenterweise ist so mancher Text auch ein Stück erotischer Lyrik: „wo dies so fruchtet; zungenfertig, uns dran säugend,/ wie leib- uns, nahrhaft fassen im anreichern, -schwellen,/ in eignen saft lauthals geraten uns, frisch erzeugend/ zur neige flößen ein uns sattsam zu erhellen“.

Das ist barocke Sprachlust in moderner Diktion und darüber hinaus (darf man das sagen?) zeitlos schön. Elementare Gedichte eben: geschrieben mit poetischem Feuer, mit allen theoretischen Wassern gewaschen; sie stehen mit beiden Beinen auf der Erde und tragen den Kopf in den Lüften – so hoch, dass sich künftige Sonettierer ganz gehörig danach recken müssen.

NICOLAI KOBUS

Franz Josef Czernin: „elemente,sonette“. Hanser Verlag, München2002, 160 Seiten, 17,90 €ĽEva Behrendt ist im Urlaub – also heute keine Hörbuchkolumne