: Panikmache aus der Downing Street
Der britische Premierminister Tony Blair schürt die Angst vor Terroranschlägen in Großbritannien. Lange Zeit hatten die Behörden alle Hinweise auf radikale Islamisten ignoriert. Jetzt aber geht es darum, die Briten vom Irakkrieg zu überzeugen
aus London RALF SOTSCHECK
Ein Terroranschlag in Großbritannien sei unausweichlich, erklärte Premierminister Tony Blair den Unterhausabgeordneten vorige Woche. Die Polizei hat seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hunderte von Menschen festgenommen, 15 ausländische Staatsbürger sind ohne Anklage im Belmarsh-Gefängnis interniert. Vor drei Wochen fand man in einer Londoner Wohnung Spuren des Gifts Rizin, vor acht Tagen stürmte die Londoner Polizei die Moschee am Finsbury Park und verhaftete sieben Menschen. In Großbritannien herrscht Panik.
Ist sie begründet? Faisal Bodi, ein muslimischer Jornalist und Herausgeber einer Internetzeitung, meint, die Regierung übertreibe die Gefahr eines terroristischen Anschlags maßlos, um eine skeptische Bevölkerung von der Notwendigkeit eines Krieges gegen den Irak zu überzeugen. Er vergleicht die Situation der Muslime in Großbritannien mit der Lage der Katholiken in Nordirland zu Beginn der dortigen Unruhen. „Die ganzen drakonischen Gesetze, mit denen so viel Missbrauch getrieben wurde, sollen ja nicht den Terrorismus bekämpfen“, sagt er, „sondern lediglich eine Illusion für Propagandazwecke vermitteln.“
Die Angstmache hatte zunächst das Ziel, eine „imaginäre Verbindung zwischen dem 11. September und Saddam Hussein“ herzustellen. „Jetzt sollen wir im Geiste eine Verbindung zwischen Asylbewerbern und Terroristen sehen“, sagt Bodi. „Die Rechten haben die Gelegenheit erkannt, die nicht so populäre Ausländerfeindlichkeit mit der populäreren Islamfeindlichkeit zusammenzubringen.“
In der Vergangenheit hatten sich die britischen Behörden wenig Gedanken um radikale Muslime gemacht. Als sich die sowjetische Besatzungsmacht 1989 aus Afghanistan zurückzog, kehrten viele muslimische Kämpfer in ihre Heimatländer zurück, um gegen ihre eigenen, säkularen Regierungen zu kämpfen. Die reagierten mit drakonischen Maßnahmen und verhängten reihenweise Todesstrafen. Auf der Suche nach einer sicheren Zuflucht kamen viele Muslime nach Großbritannien, wo sie unbehelligt leben und ihre Sache vertreten konnten.
Der Observer wies vorgestern darauf hin, dass der jordanisch-palästinensische Geistliche Abu Qutada 1994 eine Fatwa verhängt habe, in der er Massaker an Frauen, Alten und Kindern im Namen des heiligen Krieges rechtfertigte. „Damals wusste bei den britischen Sicherheitskräften kaum jemand, wer er war“, schreibt das Blatt. „Und noch weniger Leute interessierte es.“
Nachdem die algerische Groupe Islamique Armée Bomben in Paris gezündet hatte, stellten die französischen Ermittler fest, dass die Organisation aus „Londonistan“ – wie es die Franzosen nannten – finanziert worden war. Die Pariser Behörden sagten in London Bescheid, doch dort kümmerte es niemanden, sagte ein französischer Jurist. Kaum hatte ein Pariser Gericht zwei Aktivisten nach Burkina Faso abgeschoben, da tauchten sie in Großbritannien wieder auf.
Ein ehemaliger Beamter des britischen Verfassungsschutzes sagte: „Es gab eine Abmachung mit diesen Leuten. Wir sagten ihnen, dass wir sie in Ruhe lassen würden, wenn sie uns keine Scherereien machten.“ Bis Ende der 90er-Jahre ging die Rechnung auf. „Dann kam eine neue Welle militanter Muslime nach Großbritannien“, schreibt der Journalist Jason Burke. „Sie waren jünger und wütender. Ihr Angriffsziel waren nicht mehr die Regime im Nahen Osten, die den Islam ablehnten, sondern die Amerikaner, die Israelis und ihre Verbündeten.“
Am bekanntesten wurde der Ägypter Mustafa Kemal, der unter dem Namen Abu Hamza die Moschee am Finsbury Park übernahm. Ursprünglich war die Moschee ein Gemeindeprojekt unter der Schirmherrschaft von Prinz Charles. Unter Abu Hamzas Führung haben in der Moschee Kampfübungen und Erste-Hilfe-Kurse stattgefunden, behauptet Burke.
Mit seinem Glasauge und dem Stahlhaken an Stelle einer Hand gibt Hamza ein ideales Feindbild für die Boulevardzeitungen ab, die ihm nahe legten, mit „seinen Gefolgsleuten aus Großbritannien zu verschwinden“.
Der Trägerverein der Moschee am Finsbury Park hat Hamza vorige Woche wegen seiner militanten Predigten Hausverbot erteilt. Am Freitag verlegte Hamza seine Predigt, zu der 70 Anhänger gekommen waren, auf die Straße vor der Moschee.