: Eine goldene englische Nase
Der Prinz der großen Dinge: In Indien, sagt Kiran Nagarkar, sind die Verleger selbst die allergrößten Feinde der Bücher. In Deutschland hat der indische Schriftsteller einen schönen Erfolg – ein Porträt
von KATHARINA GRANZIN
Was bisher geschah: Ein indischer Autor, der sich schon einen Namen gemacht hat mit seinem ersten Roman, bekommt ein Stipendium, um im westlichen Ausland ein Buch zu schreiben. Er beginnt die Arbeit daran in Marathi, der Hauptsprache das Bundesstaates Maharashtra, in der er auch sein gepriesenes Erstlingswerk verfasst hatte. Doch die Arbeit stockt, der Autor stürzt in eine Krise – und schreibt seinen zweiten Roman schließlich auf Englisch. Unter dem Titel „Ravan and Eddie“ wird das Buch dann ziemlich erfolgreich, sogar einen Film will man daraus machen. Doch als es in Marathi-Übersetzung erscheint, wird es von den Medien in Maharashtra komplett ignoriert. Keine einzige Zeile für den Renegaten.
Wie diese Geschichte ausgeht, ist noch nicht ganz entschieden. Doch man kann wohl sagen, dass sich der Sprachwechsel für den Autor Kiran Nagarkar trotz allem gelohnt zu haben scheint. Für seinen letzten Roman „Cuckold“, auf Deutsch unter dem Titel „Krishnas Schatten“ erschienen (A1 Verlag, München 2002, 720 Seiten, 28,80 €), bekam er den renommierten Sahitya Akademi Award, den Preis der indischen Akademie der schönen Künste. „Da kamen sie“, sagt Nagarkar, und meint die Journalisten einer marathisprachigen Zeitung. „Sie haben mich eineinhalb Stunden lang interviewt, und ihre einzige Frage war ‚Warum schreiben Sie auf Englisch?‘. Das Buch selbst hat sie nicht im Geringsten interessiert.“
Kiran Nagarkar hat gerade einen längeren Aufenthalt in Deutschland und eine Lesereise durch die Schweiz hinter sich und ist sichtlich ein wenig erschöpft, aber guter Dinge: „Es lief zwar recht langsam an, aber inzwischen hat sich das Buch immerhin 5.000-mal verkauft!“ Das macht noch keinen Bestseller, aber es ist definitiv ein Erfolg für einen unbekannten Autor und einen 700-Seiten-Wälzer, den man auf den ersten Blick für einen historischen Roman wie viele andere halten kann. Da hätte man sich aber getäuscht.
Im rajputischen Königreich Mewar des 15. Jahrhunderts entfaltet Nagarkar eine epische Handlung um unerfüllte Liebe, höfische Intrigen, blutige Schlachten, die die perfekte Balance zwischen Spannung und Reflexion und bei aller Lesefreundlichkeit ein hohes literarisches Niveau hält. Die unglückliche Ehe des Kronprinzen von Mewar mit Mirabai, der Bhakti-Jüngerin Krishnas, die sich ihrem Gemahl verweigert, ist historisch verbürgt. Mirabais Krishna-Gesänge sind berühmt, und sie selbst ist wohl die bekannteste Inderin aller Zeiten. Über ihren Gatten, den Kronprinzen, weiß man lediglich, dass es ihn gab.
In diese Leerstelle springt Nagarkar, um einen wunderbar ambivalenten Helden zu erschaffen, der so machtbewusst wie nachdenklich, so zartfühlend wie grausam sein kann und mit der Gabe der Reflexion in einem Maße ausgestattet ist, dass es dem Autor erlaubt, praktisch unbemerkt philosophische Exkurse über Musik, Kriegs- und Staatsführung, Frauen und Männer und andere letzte Dinge einzufügen.
Dass den westlichen Lesern die tieferen kollektiven Bewusstseinsinhalte für die vollständige assoziative Durchdringung der mythologisch geladenen Geschichte naturgemäß fehlen, ist sicher schade, doch nicht schädlich. Wie alle guten Geschichten hat Nagarkars Roman so universalen Charakter, dass er quasi unabhängig von seinem kulturellen Kontext gelesen werden kann. Amüsiert erzählt Nagarkar von jener Leserin, die wissen wollte, ob er mit „Krishnas Schatten“ einen Roman über Bush und Saddam Hussein geschrieben habe. – Ja, sei diese Lesart denn erlaubt? Er sagt weder Ja noch Nein, aber: „Ich sehe es eher in einer Reihe mit ‚Krieg und Frieden‘.“ Er hatte auch gleich zu Anfang gesagt, dass er nicht vorhabe, allzu bescheiden zu sein. „Ich glaube wirklich an dieses Buch.“
Einer wie Nagarkar ist auf dem deutschsprachigen Buchmarkt eine Ausnahme. Denn die indische Literatur, die wir sonst kennen, ist die Literatur der freiwilligen Diaspora. Im Windschatten der Arrivierten wie Amitav Ghosh, Vikram Seth oder Rohinton Mistry (selber Nutznießer des Rushdie-Effekts) ist inzwischen eine ganze Heerschar indischstämmiger Schreibtalente herangewachsen, die von Westen her die Szene betreten.
Diese Autoren haben vor allem zwei Dinge gemeinsam: Sie leben nicht in Indien. Und sie schreiben auf Englisch. Belletristische Werke aus Indien, in einer Regionalsprache verfasst, werden dagegen im besten Fall mit jahrzehntelanger Verzögerung ins Deutsche übersetzt, von ein paar hundert Unerschrockenen gekauft und nach zwei Jahren von den frustrierten Verlegern verramscht. In Indien selbst ist die Resonanz kaum größer. In einer Umgebung, die mehr Analphabeten als aktive Leser aufweist, ist Literatur eine furchtbar elitäre, brotlose Angelegenheit.
Ein indischer Autor dagegen, der auf Englisch schreibt, öffnet sich einer weitaus größeren Leserschaft. Die 20 Millionen Inder, die das Englische fließend beherrschen, sind ziemlich identisch mit der intellektuellen Elite des Landes, also tatsächliche potenzielle Leser. Und wer gar sein Manuskript gleich ins Ausland verkauft, wie weiland Arundhati Roy ihren „Gott der kleinen Dinge“, kann sich erst recht eine goldene Nase verdienen.
Doch auch wenn Kiran Nagarkar ein solcher Geldsegen sicher ebenso zu gönnen wäre, ist er davon noch ein gutes Stück entfernt. Die deutsche Übersetzung ist die erste westliche Ausgabe seines Romans. Und auf den behäbigen indischen Buchmarkt gibt der Dichter nicht mehr viel. „Als ich den Preis gewann, schaffte mein Verlag es nicht einmal, das Buch mit einem Aufkleber zu versehen. Gar nichts haben sie gemacht. Manchmal denke ich wirklich, bei uns sind die Verleger selbst die schlimmsten Feinde ihrer Bücher.“ Er lacht. Derzeit ist Kiran Nagarkars preisgekrönter Roman in Indien nicht lieferbar.