: Vor die Tür gespart
Erstmals seit acht Jahren steigt die Anzahl der Wohnungslosen in Berlin wieder. Experten sehen die Hauptursache in der Unterfinanzierung der bezirklichen Sozialämter und befürchten neuen Trend
von SABINE AM ORDE
Die Anzahl der Wohnunglosen in Berlin steigt erstmals seit 1993 wieder. Während im dritten Quartal 2001 mit 6.000 registrierten Wohnungslosen ein Tiefststand erreicht war, waren ein Jahr später bereits über 6.700 Menschen bei den bezirklichen Sozialämtern als wohnungslos registriert. Neuere Zahlen liegen nicht vor. Hinzu kommt eine Dunkelziffer von 2.000 bis 4.000 Menschen, die entweder bei Bekannten unterkommen oder auf der Straße leben, ohne staatliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Das bestätigte gestern die Senatsverwaltung für Soziales. Helga Burkert, die zuständige Fachfrau, will trotzdem noch keinen Trend erkennen: „Dazu muss man die Entwicklung länger beobachten.“
Praktiker vom Arbeitskreis Wohnungsnot, in dem 60 Hilfseinrichtungen zusammengeschlossen sind, und aus den Wohlfahrtsverbänden sehen das anders. „Wir gehen davon aus, dass die Zahlen weiter ansteigen werden“, sagt Uta Stanert vom Arbeitskreis. Hermann Pfahler vom Diakonischen Werk sieht das ähnlich: „Wir befürchten Schlimmes“, sagt er.
Ursache für den Pessimismus ist vor allen die schlechte Finanzlage der Bezirke. Wegen knapper Mittel übernehmen die Sozialämter Mietschulden seltener, Zwangsräumungen nehmen zu. Auch bei der Übernahme von Mietkautionen gehen die Ämter restriktiver vor. Daran scheitert nicht selten die Ausstellung eines Mietvertrages. Eine weitere Ursache für den Anstieg der Wohnungslosigkeit sehen die Hilfseinrichtungen im Abbau des sozialen Wohnungsbaus.
Trotz der Zunahme ist Berlin von früheren, dramatischen Zeiten noch weit entfernt. 1993 hatte die Anzahl der registrierten Wohnungslosen mit über 11.500 den Höhepunkt erreicht. „Der Rückgang seitdem ist auf das verbesserte und abgestufte Hilfssystem zurückzuführen“, sagt Sozialverwaltungsmitarbeiterin Burkert.
Wichtiger Eckpfeiler dabei war die Einführung des so genannten geschützten Marktsegments, nach dem ein bestimmtes Kontingent an Wohnungen – angestrebt waren 2.000 – von den städtischen Wohnungsbausgesellschaften nur für diese Gruppe reserviert wurde. „Bei der dramatischen Lage auf dem Wohnungsmarkt war das ein entscheidender Schritt“, sagt Burkert.
Zentral sei auch die Reform des Sozialhilfegesetzes gewesen, die Mietschuldenübernahme einführte, um Wohnungslosigkeit zu verhindern. „Außerdem hat sich seitdem der Wohnungsmarkt entspannt.“ Die Hilfseinrichtungen befürchten nun allerdings, dass dieses System Stück für Stück auf der Strecke bleiben wird.