Der Stoiker wird gelöst

Die deutsche Handball-Nationalmannschaft steht heute im WM-Halbfinale. Dort ist Frankreich zwar Favorit, Bundestrainer Heiner Brand aber hält dennoch an seinem Ziel fest: Er will den Titel

aus Póvoa de Varzim ERIK EGGERS

Heiner Brand tropfte der Schweiß von der Stirn. Der Handball-Bundestrainer hatte sich, da jener 31:31-Krimi bei der Weltmeisterschaft gegen Jugoslawien gerade zwei Stunden Geschichte war, soeben beim Joggen den schweren Stress aus Körper und Seele gelaufen. Direkt an der portugiesischen Küste hatte er gemeinsam mit Co-Trainer Frank Löhr den Einzug ins Halbfinale verarbeitet, inmitten eines heftigen atlantischen Tiefausläufers. Nun, noch im Trainingsanzug, war er endlich bereit, in der Lobby des Mannschaftshotels die wartenden Journalisten mit seinen Eindrücken zu versorgen. „Tut mir Leid“, entschuldigte sich der Bundestrainer mit breitem Grinsen für die Verspätung. „Der Wind war einfach zu stark.“ Es wirkte, als ob Brand noch einmal mit dem Zaunpfahl winken wollte, frei nach dem Motto: Nur Naturgewalten können uns bei diesem Turnier aufhalten.

Wie Siege doch Menschen verändern. Kaum jemand hatte Brand so gelöst erlebt, ihn, den Stoiker, der so selten seine Emotionen an die Umwelt abgibt. Der Druck sei ungewöhnlich groß gewesen, räumt Brand denn auch ein, und dennoch sei er an der Seitenlinie trotz langen Rückstands in der 2. Halbzeit gegen Jugoslawien „nie unruhig geworden“. Als sich dann ein Reporter die Frage erlaubte, ob er jemals schon so gejubelt habe nach einem Handballspiel, antwortete Brand in seiner für ihn doch ziemlich typischen Weise: „Uns allen schwirrte ja auch die nun perfekte Olympiaqualifikation im Kopf herum.“ Die kann den Deutschen nun wirklich niemand mehr nehmen, auch Frankreich nicht, am heutigen Samstag (16 Uhr/ZDF) Gegner im Halbfinale. Und überhaupt: „Ein WM-Halbfinale zu erreichen unter diesen ungünstigen Vorzeichen, da haben wir schon Grund, zumindest mal kurz zu jubeln.“ Dass er das kurz im Satz betonte, darf als Hinweis gewertet werden, dass er selbst das Halbfinale als Abschnitt auf dem Weg zu etwas ganz Großem betrachtet. Er, der vor exakt 25 Jahren den letzten WM-Titel für Deutschland mitgewann, will die Trophäe erneut in Händen halten.

Brand ist, wie er bescheiden formuliert, „ein bisschen stolz darauf“, dass sich dieses Team seit 1997, seit der verpassten WM-Qualifikation für Japan, „immer ein wenig weiterentwickelt hat, immer mit etablierten Kräften und einigen neuen jungen Spielern“. Alte Haudegen wie Volker Zerbe, Christian Schwarzer, Stefan Kretzschmar und Klaus-Dieter Petersen sind nach wie vor dabei, in letzter Zeit haben aber auch junge Talente „zur Steigerung der Leistungsfähigkeit beigetragen“. Sehr früh schon hat Brand etwa Pascal Hens in die Nationalmannschaft berufen, jenen Hens, der derzeit den verletzten Weltstar Daniel Stephan exzellent vertritt. Den Vollbluthandballer Christian Zeitz holte Brand sogar aus der 2. Liga, weil er von dessen „überragenden individuellen Fähigkeiten überzeugt“ war. Der Trainer hat dafür sogar hingenommen, dass Zeitz zuweilen die Brand so wichtige Spieldisziplin und Spielkultur über den Haufen wirft. Der 22-jährige Kraftprotz drischt nämlich intuitiv den Ball aufs Tor, wenn er eine Lücke erspäht – und manchmal auch dann, wenn sich eigentlich keine bietet.

Es mag an der Unbekümmertheit solcher Spieler liegen, dass Brand der Gegner im Halbfinale ziemlich egal war. Auch der Umstand, dass die deutsche Mannschaft vor gut zwei Wochen erst in einem Vorbereitungsspiel gegen eben diese Franzosen mit 24:25 verloren hat, schüchtert den Bundestrainer nicht weiter ein, zumal damals Volker Zerbe fehlte. Andererseits: Auch Heiner Brand weiß, dass die Franzosen Favorit sind, er selbst schätzt sie ja „stärker als bei ihrem Titelgewinn vor zwei Jahren“ ein. Mehr als wahrscheinlich also, dass ihm und seiner Mannschaft auch heute wieder ordentlich Gegenwind ins Gesicht bläst.