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Archiv-Artikel

Von der Wallstreet Richtung Norden

Erste Auswirkungen des Bankencrashs werden bei Automobil-Zulieferern, VW und in der Kreuzfahrtbranche spürbar. Die Gemeinde Georgsmarienhütte verspekuliert sich bei deutscher Tochter der US-Pleitebank Lehman Brothers

VON KAI SCHÖNEBERG

Nein, wiederholte Hartmut Möllring es am Donnerstag im Landtag zu Hannover: Auch er finde es „unbefriedigend“, aber vom Finanzplatz Niedersachsen aus lasse sich wenig gegen die globale Börsenkrise unternehmen. Es sei denn, so der Finanzminister der Niedersachsen weiter, „wenn sie die Weltherrschaft ergreifen“. Er erwartete für das Land allenfalls geringe Auswirkungen. Ach ja: Die Norddeutsche Landesbank Nord/LB sei bei der Pleite-Investmentbank Lehman Brothers engagiert gewesen, „aber höchstens im zweistelligen Millionenbereich“ Peanuts, sozusagen.

Gelassene Worte zum Billionendrama. Dabei nähert sich der Börsencrash längst von der New Yorker Wall Street aus der norddeutschen Tiefebene. Welche Löcher die drohende Rezession in Möllrings Etatplanung reißen wird, ist nicht absehbar. Nur so viel: Jeder Prozentpunkt Wachstum weniger bedeutet allein in Niedersachsen 200 Millionen Euro an ausbleibenden Steuereinnahmen.

Erste Einschläge der Krise sind bereits bei Autozulieferern spürbar: Bei Johnson Controls in Lüneburg wird ab kommender Woche kurzgearbeitet, 500 der 900 Mitarbeiter sind betroffen. Das Unternehmen will noch bis Ende des Jahres die Produktion drosseln. Hintergrund sind die vorübergehenden Werks-Stilllegungen beim Autobauer Opel, dessen Absatz allein im September um 14 Prozent eingebrochen ist. Johnson Controls produziert unter anderem Tür- und Instrumententeile für Astra und Zafira.

Bei VW Nutzfahrzeuge in Hannover werden in diesem Jahr 3.000 Transporter weniger gebaut als geplant, dafür soll die Weihnachtspause zwei Tage länger ausfallen als üblich. „Nachfragebedingt“ will VW auch die Zahl des in Wolfsburg gebauten Touran senken, sagte ein Sprecher. „Wenn sich die äußeren Umstände so weiterentwickeln, werden auch wir nicht völlig ungeschoren davon kommen“, fügte Betriebsratschef Bernd Osterloh hinzu. Bankenkrise, hohe Öl- und Stahlpreise sowie die CO2-Debatte führten gerade zu einem für den Konzern gefährlichen Mix. VW hat in Niedersachsen fast 100.000 Mitarbeiter. Es gehe, so Osterloh, „jetzt darum, wen erwischt es nicht ganz so stark“.

„Die Stimmung in der Branche ist äußerst angespannt“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Niedersachsenmetall. „Einen solchen katastrophalen Rückgang der Aufträge haben die meisten Zulieferer noch nicht erlebt.“ Prompt schlug er der IG Metall bei der laufenden Tarifrunde ein Aussetzen der Verhandlungen vor – ohne Erfolg (taz berichtete).

Auch die Kreuzfahrtbranche ist besorgt: „Die Finanzkrise macht uns Kopfzerbrechen“, sagt Bernhard Meyer, Chef der Meyer Werft in Papenburg. Banken seien derzeit zurückhaltend bei Kreditvergaben, und die Kunden des Unternehmens wie Celebrity Cruises oder der Unterhaltungskonzern Disney kämen überwiegend aus den USA. Noch hat Meyer Aufträge für zehn Kreuzfahrtpötte in den Büchern, die Werft ist bis 2012 ausgelastet. Aber um die Jobs der 2.500 Mitarbeiter zu sichern, müssen spätestens im kommenden Jahr neue Aufträge her. Derzeit liegen offenbar keine Neubestellungen vor.

Gigantische Luxusschiffe wie die gerade von der Meyer Werft gebaute „Celebrity Solstice“ sind nicht mehr en vogue: „Steigende Treibstoffpreise, Überkapazitäten und eine sinkende Nachfrage nach Schiffen dieser Größenordnung drücken auf die Margen der Reedereien“, sagt der Seetouristik-Fachmann Alexander Möbius. Die Finanzkrise verstärke das Problem noch. Und: Auch die meisten Kreuzfahrt-Gäste kommen bislang aus den USA.

Die niedersächsische Gemeinde Georgsmarienhütte hat dagegen gerade noch mal Glück gehabt: Zwar hat der Kämmerer rund zehn seiner etwa 16 Millionen Euro Überschuss bei der deutschen Tochter der Pleite-Bank Lehman Brothers investiert, aber: Der deutsche Einlagensicherungsfonds bringt das Geld zurück nach Niedersachsen.