: Branche nicht in Spiellaune
Sparzwang und zunehmende Computernutzung machen den traditionellen Spielzeugherstellern das Umsatzmachen schwer. Sie hoffen auf Lizenzprodukte
NÜRNBERG taz ■ Am besten spiegelte sich die Stimmung der diesjährigen Spielwarenmesse in Nürnberg in den beiden höchsten politischen Repräsentanten der Republik wider. Der eine, Bundespräsident Johannes Rau, kam zu spät zur Eröffnung und musste humpelnd auf den obligatorischen Messerundgang verzichten. Der andere, Bundeskanzler Gerhard Schröder, war gar nicht erst selbst da und trällerte nur im Puppenformal auf der Neuheitenschau den „Steuersong“. Ebenso malade und schlecht gelaunt zeigte sich die Branche, die traditionell zu den deutschen Vorzeigebereichen gehört. Zwar ist die Zahl der Aussteller auch dieses Jahr mit mehr als 2.700 konstant geblieben und bis zum heutigen Abschluss werden mehr als 65.000 Fachbesucher erwartet, doch die Probleme von Herstellern und Handel sind unübersehbar.
Es mangelt an Käufern, nachdem die geburtenschwachen Jahrgänge den Markt für Babyspielzeug schrumpfen lassen und Kinder sich immer früher vom Kindsein verabschieden und auf PC und TV umsteigen. Zudem sorgen konsumunlustige Eltern in „Geiz-ist-geil“-Stimmung dafür, dass sich die Ausgaben in Grenzen halten. Nur 3,1 Milliarden Euro legten die Deutschen 2002 für Spielzeug aus, 3 Prozent weniger als im Vorjahr. Und mit neuen umsatzfördernden Ideen können die Händler auch auf der Messe nicht aufwarten. Stattdessen sichern sie sich mit Solidem ab: mit Puppen, Plüschtieren und anspruchsvollem Holzspielzeug.
Um an das Geld von Kindern und Eltern zu kommen, setzt die Branche daher verstärkt auf mediale Unterstützung. Schon im Jahr 2001 entwickelte sich das Spiel „Wer wird Millionär?“ dank massiver TV-Hilfe durch Günther Jauch zu einem Renner. In diesem Jahr hoffen die Händler auf die neue japanische Comic-Fernsehserie Yu-Gi-Oh. Im Vorjahr erreichten Lizenzartikel bereits einen Anteil von 15 Prozent des Spielwarenumsatzes. Und, so die Marktforscher von Eurotoys, „der Lizenzmarkt ist in Deutschland im Vergleich zu USA oder Großbritannien noch klein, denn dort werden bis zu 25 Prozent des Spielwarenumsatzes mit Lizenzen getätigt“. Die neue Billig-Action-Serie startet am 10. März des Jahres und soll sich als Dauerwerbesendung für Videos, Spielkarten, CDs, Poster und Sticker zum Erfolg beim Angriff auf das Taschengeld der 8- bis 14-Jährigen entwickeln. Zwar kritisiert die Branche gleichzeitig, dass immer mehr Kinder vor dem Fernseher oder dem Computer geparkt werden, aber die Händler wollen auf diese Art von Verkaufsförderung natürlich nicht verzichten.
Auch bei den Produktionsbedingungen für Spielwaren drücken Produzenten und Handel gern ein Auge zu. Über 35 Prozent der deutschen Spielzeugimporte kommen aus China und werden dort unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt. Tägliche Arbeitszeiten von bis zu 16 Stunden bei einer 7-Tage-Woche, und das für einen Hungerlohn – darüber dürfen Bündnisse wie „Fair Toys“ oder Aktionen wie „fair spielt“ am Rande der Spielwarenmesse Jahr für Jahr berichten. An den Arbeitsbedingungen im Reich der Mitte ändert das kaum etwas. Nach Angaben von Jürgen Bergmann von „Fair Toys“ achtete bisher als einzige deutsche Spielwarenfirma der Puppenhersteller Zapf darauf, dass seine fernöstlichen Lieferanten die international vereinbarten Mindeststandards einhalten. Im Jahr 2003 will das Bündnis den Druck erhöhen und im umsatzstarken Weihnachtsgeschäft die Namen derjenigen Hersteller veröffentlichen, die sich weigern, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei ihren Lieferanten durchzusetzen.
HORST PETER WICKEL