: Unbekannt: Südland
Der Sprachforscher Storfer erforschte in den Dreißigerjahren, wie die fünf Kontinente zu ihrem Namen kamen. Heute: der fünfte Kontinent Australien
von ADOLF JOSEF STORFER
Schon im Altertum hatte man die Vermutung, es müsse sich südöstlich von Afrika noch eine „andere Welt“, ein großer Kontinent befinden. Man nannte ihn: terra austraIis incognita, unbekanntes Südland.
Das Wort australis gehört zweifellos jener indogermanischen Wortsippe an, aus der die sprachvergleichende Wissenschaft auf eine Urwurzel »ausos« = Morgenröte schließt. Da die Morgenröte im Osten erscheint, entwickelten sich aus der gleichen Wurzel auch die Bezeichnungen für diese Himmelsrichtung. Bei den Italikern hatte australis nicht die Bedeutung von östlich, sondern von südlich. Die Römer bezeichneten den Südwind als auster. Wie konnte es zu dieser Verwirrung der Himmelsrichtungen kommen?
Die Apenninische Halbinsel erstreckt sich von Nordwesten nach Südosten. Das Unbewußte, das für Wortbildung und Namengebung nicht von minderer Wichtigkeit ist als das genaue naturkundliche Wissen, läßt sich aber nicht auf die Feinheiten „halber“ Himmelsrichtungen ein. So vereinfachte sich der Italiker sein Bild der Halbinsel derart, daß er sich sie von Westen nach Osten erstreckt vorstellte. Auch auf den Karten des Altertums erscheint die Achse Italiens stark nach Osten abgelenkt.
Aber auch einen zweiten Umstand möchte ich zu bedenken geben. Man betrachte eine Karte des römischen Reiches. Im Westen reichte das Imperium weit nordwärts bis nach Schottland, indes die südlichsten Ausläufer in Südägypten zu sehen sind. Dieser Expansion Roms nach Nordwesten und Südosten entsprechen auch ungefähr die damaligen geographischen Kenntnisse. Aus diesen Umständen erklärt sich hinreichend die Verlötung der Vorstellungen Süd und Ost und damit die Bezeichnung „auster“ für den Südwind und die Bezeichnung terra australis incognita für den vermuteten südlichen Erdteil.
Lange vor der Entdeckung Australiens mußte aber das Wort australis für geographische Bezeichnungen innerhalb Europas herhalten. Der Namen Ostarrichi (Österreich) taucht urkundlich zwar erst 996 auf, aber schon das Fränkische Reich zerfiel in einen westlichen Teil, Neuster genannt, und in einen östlichen, Auster oder Austrasien. In lateinischen Quellen kommen bis ins 16. Jahrhundert die Bezeichnungen terra australis für Österreich (oder marchia orientalis, Ostmark), australes für Österreicher vor.
Demnach haben also die Namen Austria, Australia eine doppelte Bedeutung: sie dienten der Bezeichnung der östlichen Teile europäischer Reiche, entledigten sich aber dessen ungeachtet auch nicht jener älteren Bedeutung, die sich auf den vermuteten südlichen Erdteil bezog.
Mit Beginn der Neuzeit, der Auffassung der Erde als einer Kugel, mit dem Einsetzen der großen Entdeckungsreisen, bekam das Interesse für die terra australis incognita neuen Antrieb. Es müsse dort, meinte man, schon darum noch ein großer Kontinent vorhanden sein, weil die schon bekannten Landmassen der südlichen Halbkugel nicht hinreichend seien, den Ländern der nördlichen das Gleichgewicht zu halten. Als Pedro Fernandez de Quirós, der seine Reisen im Dienste Philipps III. unternahm, am 3. Mai 1606 eine zu der Gruppe der Neuhebriden gehörende Insel entdeckte, die er für das große unbekannte Südland hielt, nahm er mit großem Pomp „Besitz von dieser Bai […] und von allen Ländern, welche ich gesehen habe und sehen werde, und von diesem großen Teil des Südens bis zum Pol, der von nun an heißen soll la Austrialia del Espíritu Santo, mit allem, was dazu gehört“. Quirós gebraucht bewußt statt Australia: Austrialia, um an Austria als die Heimat der habsburgischen Dynastie Spaniens zu erinnern.
Gleichzeitig stießen holländische Seefahrer an verschiedenen Punkten auf die Küste des australischen Festlandes, aber es dauerte noch viele Jahrzehnte, bis die Umrisse dieses Kontinents in groben Zügen festgelegt waren. Auch hatte man die Hoffnung, einen etwa an Größe mit Asien wetteifernden Kontinent in der Südsee zu finden, noch nicht ganz aufgegeben und den Namen Australien, der seit dem Altertum darauf wartete, einem Erdteil verliehen zu werden, daher offiziell noch nicht verausgabt. Das australische Festland hieß zunächst Neu-Holland. 1772–1775 widerlegte James Cook auf seiner zweiten Weltumseglung endgültig die Vorstellung von einem die Südhalbkugel ausfüllenden Festland. Unter seinen Begleitern befand sich auch der deutsche Pfarrer Johann Reinhold Forster, der dann Professor der Naturgeschichte in Halle wurde. Forster war es, der nachdrücklich dafür eintrat, man müsse die Insel »Neu-Holland« als einen selbständigen Erdteil ansehen. Der neue Kontinent bekam weder den Namen Johannia noch den Namen Reinholdia, es setzte sich vielmehr der seit mehr als anderthalb Jahrtausenden für jene terra incognita bereitgestellte Name Australien durch, und zwar ohne jenes zum höheren Ruhme des Hauses Habsburg-Österreich eingeschmuggelte „i“.
Aus: A. J. Storfer, „Im Dickicht der Sprache“. Verlag Vorwerk 8, Berlin 2000. (Erstausgabe 1937; gekürzt)