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Archiv-Artikel

„Reserviert“

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Die Kantine im Gorki-Theater in Berlin Mitte ist ein Biotop – allerdings ohne Bio-Lebensmittel

Die Kantinen-Dame ist entsetzt. Eine Kritik wolle man schreiben? Über dieses Lokal? Die Kritik fürchtet man im Gorki-Theater in Berlin-Mitte nicht. Aber die Folgen. Dass nämlich Massen von Menschen zur Mittagszeit versuchen könnten, sich an die für Schauspieler reservierten Tische zu setzen, dass es Krach gibt, und die wichtigsten Gäste verprellt werden, nämlich die hauseigenen.

„Soll sie doch schreiben, dass es hier nicht schmeckt,“ rät ein mithörender Gast.

„Nein“, sagt die Thekenkraft, das sei ja auch nicht korrekt, man solle doch einfach einen Mittelweg finden. So, dass die Kantine zwar gut weg kommt, aber hinterher nicht häufiger besucht wird als bisher.

Die etwas versteckt liegende Kantine des Gorki-Theaters nämlich ist ein empfindliches Biotop, in das keinesfalls mit noch mehr Menschenhand eingegriffen werden darf. Sonst würde dieses höchst gefährdete Ökosystem sofort umkippen.

Die Kantine ist nicht einfach zu finden, hat man aber den durch nichts gekennzeichneten Eingang gefunden, betritt man einen interessanten kleinen Raum, von Licht durchflutet und mit Charme erfüllt. Rechts an einer kleinen Theke wird das Essen serviert, links und weiter durch stehen ein paar einfache Holztische, auf einigen sieht man Schilder: „Reserviert“.

Dort sitzen dann die hausinternen Gäste, die anderen müssen ein Plätzchen in den hinteren Rängen finden. An der hinteren Wand hängt ein großes Steinbecken, das in ein wandgroßes Mosaik eingearbeitet ist. Es gibt dem Lokal den Anschein, nicht in Berlin zu sein, sondern eher in einem böhmischen Kurort.

Das Essen, das hier serviert wird, wäre geeignet, jemand in die Kur hineinzubringen als aus einer Kur herauszuholen: Leberkäse und Gulasch, vor gesättigten Fettsäuren strotzende Kost, ohne Anspruch auf Biozertifikat. Der mächtige Leberkäse wird mit dicker Soße serviert, Kartoffelpüree und Krautsalat – im Letzteren unterscheidet sich das Gorki nicht von anderen Ostkantinen der Stadt.

Die saftige, festgebackene Masse Fleisch schmeckt trotzdem fein. Die kleine Salatbar an der Theke bietet eine Alternative zu den Hauptgerichten. Neben dem üblichen Grün werden gebackener, grätiger Fisch angeboten, Bohnen und eingelegte Pilze. Trotz allen Flairs: Aus kulinarischer Sicht bleibt die Kantine des Gorki-Theaters eine Kantine. Alles, was dieses Biotop sonst so besonders macht, muss verborgen und geschützt bleiben, damit es weiter besteht.

KANTINE IM MAXIM GORKI THEATER, Dorotheenstraße 9, 10117 Berlin, (0 30) 20 22 11 15, S-Bahn Friedrichstraße, Mittagstisch 12–16 Uhr, Cola 1,80 Euro, Latte macchiato 2,30 Euro, Leberkäs 4,80 Euro, Verpflegung der Mitarbeiter hat Vorrang