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Archiv-Artikel

Die Monococcopasta

Ein erschreckender Restaurantbesuch und eine schlüssige Einkorn-Erklärung

Das Einkorn entwickelt erstaunliche Abwehrkräfte und reckt die Ähren steil nach oben

Auf der Tageskarte eines Restaurants entdeckte ich neulich „Pasta de Monococco“ und dachte zuerst an einen Schreibfehler. Hatte der Koch vor, zur Steuerflucht nach Monaco aufzubrechen? Oder handelte es sich bei den Monococco-Eierteigwaren tatsächlich um Monokokkenspätzle? Ich warf vor Schreck fast den Pastis um, denn nach dem medialen Flächenbombardement mit Salmonellen, Staphylo-, Strepto- und weiß der Geier was für Kokken, drängte sich mir ganz automatisch die Frage auf, aus welchen Komponenten Hühnerfutter heute sonst noch hergestellt werden darf. Schon wollte ich flüchten, denn mit einer Bazillenvergiftung der Kokkenklasse aus dem Lokal zu marschieren und das gerade Verspeiste in die nächstbeste Schüssel zu entlassen, ist nicht gerade das, was man sich unter einem vollendeten Restaurantbesuch vorstellt. „Mais calme toi!“, rief eine leise französische Stimme in meinem Oberstübchen, „du weißt doch, cocco, das ’eißt auch rundes Korn“. Ah, dachte ich, Monococco, das heißt Einkorn. Danke!

Eine alte Getreidesorte, wie ich mich langsam erinnerte. Auf heimischen Feldern ist dieses Korn schon lange verschwunden, weil es mit dem hochgezüchteten Weizen nicht konkurrieren konnte, weder im Ertrag noch in seiner Belastbarkeit bei Hauruckanbau mittels Düngemittelchemie geschweige denn im Preis. Dabei haben Einkorn und Weizen einen gemeinsamen Vorfahren, der mittels Chromosomenzählerei als Triticum boeoticum, oder unaussprechlicher Urwildeinkorn, ermittelt wurde.

Allerdings erweist sich jetzt die Urwüchsigkeit des Einkorns mancherorts als Vorteil, denn die überzüchteten und auf Ertrag getrimmten modernen Getreidesorten wurden mittlerweile ziemlich weichhalmig gegen Krankheiten. Ein laues Lüftchen, ein paar kleine Erreger, ein Hauch von Fusarien, schon wird es kritisch: Wurzelfäule oder Schimmel bedingen weder Klasse noch Masse. Einkorn ist deutlich robuster. Der Triticum monococcum entwickelt gegen so manche Zivilisationskrankheit im Feld erstaunliche Abwehrkräfte und reckt die Ähren steil nach oben.

Aber auch weitere Eigenschaften des Einkorns lassen sich sehen. Der hohe Anteil an weichem Kleber lässt des Bäckers Herz höher schlagen, denn das Mehl ist gut zu säuern. Der Teig ist zwar relativ flüssig, stabilisiert sich aber nach etwa einer Stunde Ruhezeit. Während des Backens entwickeln die Teiglinge einen starken Trieb. Die fertigen Brote scheinen gelblich und entfalten ein nussiges Aroma.

Diese ausgeprägte Gelbfärbung erfreut übrigens jede Ernährungsberaterin. Sie ist auf einen zwei- bis dreimal höheren Karotinoidgehalt gegenüber Hartweizen zurückzuführen. Betakarotine und andere Radikalfänger werden gratis mitgeliefert. Auch im Proteingehalt, und damit im Anteil an essenziellen Aminosäuren, also jenen, die unser körpereigenes Biochemielabor nicht selbst herstellen kann, ist Einkorn dem Weizen überlegen. Sogar in den von Sport- und Fitnesskriegern propagierten Modemineralien Kalzium, Magnesium, Mangan und Zink zeigt das alte Korn seine Stärke. Alles in allem: eine runde Sache, das Einkorn.

Beruhigt fischte ich die letzten Saucenreste aus meinem Monococcopastateller. Wusste ich doch inzwischen, dass das Einkorn bereits vor mehr als 9.000 Jahren zwischen Euphrat und Tigris kultiviert wurde. Heute dient diese Region eher als strategisches Schlachtfeld für die Sandkastenspiele eines George W. Bush. Vielleicht war es gar der Brocken einer Monococcobrezel, der ihm unlängst in den falschen Hals geriet. Denn auch für Backwaren aus Einkorn empfiehlt sich gutes Kauen. Vor dem Schlucken. THOMAS VILGIS