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Archiv-Artikel

Schneebälle statt Pflastersteine

Die Studentin Carrie aus Minnesota ist überrascht „über den Widerstand der Deutschen“

aus München JÖRG SCHALLENBERG

Sprechchöre, Trillerpfeifen, Lautsprecherdurchsagen, Stiefelgetrampel und das bedrohliche Klackern der Gummiknüppel. Überall Polizei. Es gibt kein Durchkommen mehr. Die Demonstranten sind eingekreist, die Verhaftungen beginnen. Zum Glück ist dieser Kessel rein virtuell. In einer Ausstellung nahe dem Münchner Ostbahnhof hatte eine Kunstinitiative mit Hilfe einer Reihe vom Papp-Polizisten, Lautsprechern und Aufnahmen aus dem Februar 2002 noch einmal die Situation des vergangenen Jahres dargestellt, als über 800 Teilnehmer einer verbotenen Demonstration gegen die Sicherheitskonferenz verhaftet worden waren.

„Der virtuelle Kessel“ ist nur eine von über 30 Veranstaltungen, die an diesem Wochenende in München gegen die Tagung der Militärs und Politiker im Hotel Bayerischer Hof stattfindet. Es gibt Mahnwachen, Konzerte, Trommeln für den Frieden, Diskussionsforen, Friedensgebete, ein Lichterkreuz, das durch die ganze Innenstadt leuchtet – und zwei große Demonstrationen am Samstag. Was für viele bereits eine zu viel ist. Denn nachdem ein breites Demonstrationsbündnis um Attac, No Nato und das Münchner Friedensbündnis bereits seit Monaten gegen die Sicherheitskonferenz mobilisierte, entschlossen sich Gewerkschaften, SPD und Grüne sowie die Kirchen kurzfristig zu einer eigenen Veranstaltung – aus Angst vor möglichen Ausschreitungen und weil man zwar gegen den drohenden Krieg im Irak, nicht aber gegen das Treffen im Bayerischen Hof protestieren wollte.

Also ziehen die gemäßigten Kriegsgegner am Samstag ab zehn Uhr im dichten Schneetreiben von der Münchner Freiheit zur Feldherrenhalle auf den Odeonsplatz, während sich kurze Zeit später bereits Demo Nummer zwei wenige hundert Meter entfernt auf dem Marienplatz sammelt. Eine leicht kuriose Situation, aber die Unterschiede sind unübersehbar. Am Odeonsplatz, wo sich etwa 10.000 Menschen versammeln, singt Ron Williams, die meisten Teilnehmer sind über 30 und jeder darf den Platz ungehindert betreten. Auf dem Marienplatz dröhnt HipHop und Punkrock für die, nun ja, Jüngeren, und wer in das abgesperrte Areal hinein will, muss erst einmal seine Taschen durchsuchen lassen. Für viele der Demonstranten ist das allerdings nur noch Routine: „Wir sind schon 100 Kilometer vor München in unserem Bus durchsucht worden, so ist das halt in Bayern“, stellt ein 20-Jähriger aus Memmingen fest. Gruppen aus Frankfurt a. M. und Freiburg mussten sich schon bei der Abreise kontrollieren lassen.

Bereits am Freitagabend hatte die Polizei auch in München ihre Präsenz gezeigt. Da stürmte eine Hundertschaft ein Jugendzentrum nahe dem alternativen Café Marat im Stadtteil Isarvorstadt und nahm 23 Personen fest. Ein Polizeisprecher begründete die Aktion mit dem Verdacht, dass dort gewalttätige Aktionen vorbereitet werden sollten. Am Samstag präzisiert er, dass es Hinweise gegeben hätte, dass eine Gruppe Autonomer die abgesperrte Zone rund um die Sicherheitskonferenz stürmen wollten. Die Vorstellung, dass sich ein Haufen unbewaffneter Jugendliche an Wasserwerfern, Absperrgittern und hunderten perfekt ausgerüsteten, zum Teil mit Maschinenpistolen bewaffneten Polizisten vorbei zu Donald Rumsfeld vorkämpfen wollte, zeugt zumindest von viel Fantasie.

Insgesamt hatte der bayerische Innenminister Günther Beckstein rund 3.500 Beamte aus ganz Deutschland zusammengetrommelt, um den Gefahren von rund 1.000 gewaltbereiten Autonomen vorzubeugen, die angeblich anreisen sollten. Die entdeckt aber niemand, wie schon in den vergangenen Jahren – als mit bis zu 3.000 Gewalttätern gerechnet wurde – und wie bei den geradezu hysterisch erwarteten Chaostagen im letzten August. Während des Zuges der scheinbar radikaleren Demonstration rund um die Innenstadt kommt es dann auch nicht mal ansatzweise zu Ausschreitungen. Lediglich Schneebälle fliegen immer wieder in Richtung Polizei, sieben Beamte sollen durch darin versteckte Steine leicht verletzt worden sein.

Sachbeschädigungen gibt es keine, zu Bruch gehen in der Nähe des Marienplatzes lediglich die Anti-USA-Schilder einiger stadtbekannter Anhänger und Funktionäre der Republikaner – die auf der Rückseite gleich noch den Abzug sämtlicher fremder Truppen aus Deutschland fordern. Dass einige angetrunkene Palästinensertuch- und Bomberjacken-Träger den teils älteren Herrschaften gleich noch drohen, sie das nächste Mal umzubringen, wirkt wenig heldenhaft.

Doch das bleibt die Ausnahme bei den rund 15.000 Teilnehmern der Demonstration und den insgesamt 25.000 Menschen, die in München gegen die Kriegspolitik der USA und die Sicherheitskonferenz protestieren – weit mehr, als die Veranstalter erwartet hätten. Auch zahlreiche Iraker und US-Amerikaner sind unterwegs. Ein Mitglied der Kommunistischen Arbeiterpartei des Irak meint, „dass viele Oppositionelle so wie wir Saddam stürzen wollen, zur Not auch mit Gewalt. Aber ein Krieg, der das Land zerstört, kann keine Voraussetzung für einen neuen Staat sein.“

Die Studentin Carrie, 23, aus Minnesota hingegen ist überrascht „über den Widerstand der Deutschen“. Sie besucht gerade eine Freundin in München und schaut sich verwundert um: „Ich hatte durch die Medien in den USA nicht gerade den Eindruck, dass die Europäer gegen den Krieg sind.“

Darin stimmt sie offenbar mit dem Ethnologen und Konfliktforscher Hans-Peter Dürr überein, der auf einer parallel zur Sicherheitstagung veranstalteten Friedenskonferenz vom Wunsch „vieler amerikanischer Kollegen und Freunde“ spricht, mehr Protest aus Europa zu hören. Die haben den Eindruck, sie stehen als Opposition alleine da.“ Wohl kaum.