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Archiv-Artikel

Muss i denn

Sie wohnen zu lang bei Mutti, wohnen noch länger bei Mutti und werden zwangsläufig wunderlich: Jochen Hicks „Ich kenn keinen – Allein unter Heteros“ im Panorama zeigt das Leben schwuler Schwaben in der Provinz

Der eine ist Förster, der andere trägt Tarnhosen, während der Dritte sich einst hinter einer scheinheterosexuellen Fassade verlor. Und für den 78-jährigen Vierten kommt ein Outing hingegen nicht mehr in Betracht: „Die werden sich ihren Teil schon denken.“

Und da man sich in schwäbischen Dörfern tatsächlich seinen Teil denkt, dachte Filmemacher Jochen Hick („Sex/Life In L.A.“, „No One Sleeps“), dass es interessant sei zu erfahren, welche Gedanken das wohl sind. Also machte er sich auf den weiten Weg in die Provinz, fand vier schwule Männer und folgte ihnen mit der Kamera durch den Tag. Nebenher fragte er auch noch Bekannte und Verwandte und stellte dabei interessanterweise fest: Der Anteil von Schwulen und Lesben im Schwabenland liegt nach der Hick’schen Spontanumfrage sogar noch deutlich unter dem angenommenen statistischen Wert von etwa zehn Prozent.

Aus dieser Feststellung ließen sich nun drei Schlussfolgerungen ziehen, von der die erste lautete, dass es aus irgendeinem Grund sehr viel weniger Schwule und Lesben im Schwabenland gibt, als die Statistik meint. Die zweite besagte, dass sie sich unter Umständen nicht als solche zu erkennen geben, während die dritte schließlich hieße, dass sie, sobald sie alt genug waren, sich aufgemacht haben, um das Ländle in Richtung deutlich günstigerer statistischer Werte zu verlassen. Diese Schlussfolgerungen zieht der Film allerdings nicht. Stattdessen zeigt er das Leben leicht klischeehafter schwuler Schwaben in der schwäbischen Provinz.

Folglich dreht sich der Film vor allem um sich selbst und reproduziert letztlich die Klischees, die man gegenüber Provinzschwulen ohnehin landläufig hegt: dass sie, sollten sie den Absprung verpassen, gern zu lang bei Mutti wohnen (der Förster), und dass sie, sollten sie noch länger bei Mutti wohnen, zwangsläufig wunderlich werden (der Tarnhosenträger). Dass sie sich in ihr Universum zurückziehen, das gebaut ist aus antikem Mobiliar, kunstsinnigen Büchern und gutem Porzellan (der 78-Jährige), oder dass sie, um Anpassungsstrategien zu entwickeln, sich als Über-Macker gebärden, die es zum Sexurlaub nach Thailand zieht, um sich dort klammheimlich an Thai-Boys zu vergnügen, von deren samtiger Haut und offener Art der Schein-Hetero nach vollzogenem Coming-out nun mit großen Augen schwärmt.

HARALD PETERS

Heute, 19.30 Uhr, CineStar 7