piwik no script img

Archiv-Artikel

Abschaffung der Libreta

Zwei Ikonen der Weltrevolution: In „Mein Leben“ von Ignacio Ramonet durfte sich Fidel Castro selbst inszenieren. Gerd Koenen hingegen liefert ein spannendes Porträt des selbsternannten Don Quichote Ernesto Che Guevara

„Der Mythos verbirgt nichts und stellt nichts zur Schau. Er deformiert. Er ist weder eine Lüge noch ein Geständnis. Er ist eine Abwandlung.“ Roland Barthes

VON KNUT HENKEL

Kubas „Oppositioneller Nummer eins“ trägt einen weißen Bart und ist auf der Insel quasi omnipräsent. Fidel Castro heißt der Mann, und sein Antlitz schmückt so manches Graffiti in Havanna. Mit einem optimistischen „Vamos bien“, zu Deutsch so viel wie „Es geht voran“, grüßte Kubas einstiger Comandante en Jefe von so mancher Plakatwand, als Ignacio Ramonet zur letzten Interviewsequenz 2005 in Havanna einschwebte. Etliche Male war der ehemalige Direktor der Le Monde diplomatique da schon nach Havanna gekommen, um Fidel Castro zu interviewen. In einer der letzten Sitzungen mit dem dienstältesten Staatschef der Welt offerierte der französische Journalist dem bärtigen Berufsrevolutionär mit Sätzen wie „Viele Leute vermissen Sie in der Funktion des Oppositionellen Nummer eins“ die Bühne. Dankbare Steilpässe für den Comandante, der pflichtgemäß bestätigte, dass er „immer der Oppositionelle Nummer eins war“, und wenig später darauf hinwies, dass in Kuba „die Anweisung bestehe, dass jede gegnerische Meinung immer auch ihren Platz haben muss“.

Wo der Platz für die gegnerischen Meinungen in Kuba ist, das erwähnte Fidel Castro allerdings nicht, und Ramonet unterließ es nachzuhaken. Kritische Fragen hatte der bekennende Fidel-Fan nicht vorbereitet, und er war auch nicht mit dem Aufnahmegerät am Platz der Revolution in Havanna unterwegs, sondern protokollierte erst später aus dem Gedächtnis. Ungewöhnlich, wenn man einem derart schwergewichtigen Zeitzeugen gegenübersitzt und die Chance hat, vollkommen unbekannte historische Details genauso wie private Anekdoten zu erfragen.

Auf Letztere muss man nahezu komplett verzichten, historische Details hat „Fidel Castro – Mein Leben“, so der Titel des 800-Seiten-Interviews, aber zuhauf zu bieten. So zum Beispiel die Anekdote, nach der er seinem Freund und politischen Ziehsohn Hugo Chávez im April 2002 gut zuredete, nicht abzudanken. Über Fidels privates Telefon erfolgte damals die Koordination der Aktionen von Chávez-treuen Militärs und Anhängern in Caracas. Ein Erfolg, der sich bis heute spürbar für Kuba auszahlt, und Venezuelas Präsident ist ein gern gesehener Besucher am Krankenbett des 82-Jährigen. Dem lässt Ramonet allen Raum, und so inszeniert Castro sich als bescheidener, akribischer Arbeiter der Revolution, dessen Gehalt von umgerechnet rund 30 US-Dollar nie aufgebessert wurde. Detailbesessen, wie der selbsternannte „Marathonläufer im Dienste der Revolution“ nun einmal war, hat er die Manuskripte, die ihm Ramonet nach Havanna lieferte, redigiert, ergänzt, verbessert und „präzisiert“, wie es in der kubanischen Parteizeitung Granma hieß. Dann schien der in Kuba vom Comandante zum Compañero mutierte Gralshüter der jüngeren kubanischen Geschichte zufrieden und gab sein politisches Vermächtnis frei.

Für Historiker und für Kubaspezialisten ist der schwergewichtige Band eine zusätzliche Quelle, denn hier finden sich historische Details aus erster Hand wie zum Beispiel die Geschichte der Übernahme des Oriente durch die „barbudos“, die Bärtigen. Auch für Politologen ist der Band ausgesprochen spannend, denn im letzten Kapitel mit dem wegweisenden Titel „Was kommt nach Fidel“ sind bereits grundlegende politische Entscheidungen skizziert, die derzeit Fidels jüngerer Bruder Raúl erst auf den Weg bringt. Das gilt zum Beispiel für die Abschaffung der „Libreta“, der seit Beginn der 60er-Jahre gültigen Rationierungskarte. Über deren Ende und geeignete Alternativen wird derzeit noch unter kubanischen Sozialwissenschaftlern diskutiert, doch deren Abschaffung wurde demnach bereits vor rund drei Jahren besiegelt. Weniger Subvention, mehr Leistung heißt das Motto, nach dem Bruder Raúl verfährt – allerdings nicht, wie oft im Ausland gemutmaßt, im Widerspruch zum großen Bruder.

Vom Ehrentitel des „Revolutionärs par excellence“ will Castro nichts wissen. Den hat er für Ernesto „Che“ Guevara reserviert. Auf die Fährte des argentinischen Universalguerillero hat sich Gerd Koenen geheftet. Allerdings nicht mit dem Ziel, an einem weiteren Heldenepos im Dienste der Revolution zu stricken, sondern mit dem Vorhaben, der „christusmäßigen Verklärung des Ernesto Guevara“ etwas entgegenzusetzen. Als eherner Soldat der Weltrevolution wird „Che“ nicht nur in Kuba gern gefeiert, doch sich selbst hat der Sprössling einer argentinischen Familie von leidlich vermögenden Rinderbaronen eher als „Don Quichote der Weltrevolution“ gesehen. Ein Bild, an dem so einiges dran ist, denn Hals über Kopf stürzte sich der selbsternannte Virtuose der Kriegskunst in schlecht vorbereitete Abenteuer. Paradebeispiel dafür ist die Expedition in den Kongo, von der die dortigen Rebellen vorab weder wussten noch gefragt wurden, ob die Truppe des Che dort überhaupt erwünscht sei. So landete Kubas ehemaliger Industrieminister und Comandante in einem „undurchdringlichen, babylonischen Dschungel“, der ihm und seiner Truppe mehr abverlangte als die reale Savanne und der Regenwald. Kein Einzelfall, denn das revolutionäre Sendungsbewusstsein des Che kannte keine Grenzen, wurde aber im sozialistischen Lager nicht gerade mit Beifall bedacht. Als „revolutionärer Abenteurer“ galt er und als unsicherer Kantonist.

Gleichwohl war es mit Tamara Bunke alias „Tania la Guerillera“ eine Frau aus dem etablierten Revolutionsbetrieb Ostberlins, die sich neben Fidel Castro zur prominentesten Weggefährtin des unsteten Guerillero mauserte. Dieses Dreigestirn – Fidel, Tania und Ernesto – steht im Mittelpunkt des Guevara-Projekts, und Koenen hat es geschickt verstanden, immerhin zwei zu porträtieren und vom revolutionären Pathos zu befreien. Beim Dritten, Fidel Castro, ist ihm das nicht gelungen, aber der inszeniert sich schließlich bis heute selbst.

Ignacio Ramonet: „Fidel Castro. Mein Leben“. Rotbuch Verlag, Berlin 2008, 800 Seiten, 29,90 €ĽGerd Koenen: „Traumpfade der Weltrevolution. Das Guevara-Projekt“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 608 Seiten, 24,95 €