: Warten auf das Opferfest
Karlsruhe hat das Schächten erlaubt. Seither versuchen die Länder, Muslime davon abzuhalten – mit Restriktionen
aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH
Es war ein Angebot zur Integration. Vier Monate nach den Al-Qaida-Anschlägen in New York und Washington hatte das Bundesverfassungsgericht erklärt, dass nicht nur Juden, sondern auch Muslime in Deutschland schächten, das heißt betäubungslos schlachten dürfen – wenn ihr Glaube dies erfordert. Morgen beginnt wieder das islamische Opferfest, aber es zeigt sich, dass das Karlsruher Urteil weitgehend ins Leere läuft.
Unter dem Druck der Tierschutzverbände haben die Länder die Hürden für Muslime so hoch gelegt, dass kaum Ausnahmegenehmigungen vom grundsätzlichen Schächtverbot erteilt werden. Viele Länder haben dafür Verwaltungsvorschriften erlassen, die sie selbst als „restriktiv“ bezeichnen.
„Das Messer muss scharf sein“
„Damit ist der Willkür freier Raum gegeben“, protestiert Ayyub Köhler, Generalsekretär des Zentralrats der Muslime. Am wenigsten stören ihn dabei die Tierschutzvorgaben. „Auch der Islam will, dass die Tiere nicht unnötig leiden“, sagt er. Der Zentralrat hat daher gemeinsam mit dem Islamrat „Empfehlungen“ zum betäubungslosen Schlachten herausgegeben. Dort heißt es unter anderem: „Das Messer muss sehr scharf sein […]. Der Schnitt muss sofort die Halsschlagader und die Luftröhre durchtrennen, damit der Tod schnellstens eintritt.“ Auchsollen keine Rinder, sondern ausschließlich Schafe und Lämmer geschächtet werden.
Ähnliches findet sich auch in einem Erlass von Bärbel Höhn (Grüne), der für den Tierschutz zuständigen Ministerin in Nordrhein-Westfalen. Sie verlangt zudem, dass das Schächten unter „amtlicher Aufsicht eines Tierarztes“ stattfindet und – falls etwas schief geht – ein Betäubungsgerät bereitliegt. Doch mit solchen Vorgaben können sowohl Köhler als auch Ali Kizilkaya, der Vorsitzende des Islamrats, leben.
Sie lehnen vor allem ab, dass der Staat ihre Glaubensvorgaben nicht akzeptiert, sondern individuell überprüfen will. So sind schächtwillige Muslime in NRW zunächst zu belehren, „dass verschiedene Islamwissenschaftler positiv zur Elektrobetäubung von Tieren vor dem Schlachten stehen“. Wer dennoch auf einer betäubungslosen Schlachtung besteht, muss „ausführlich“, „schriftlich“ und „individuell“ das „religiöse Profil“ seiner Glaubensgemeinschaft darlegen. „Schriftliche Rechtsquellen“ sind, soweit vorhanden, beizufügen. Ein entsprechendes Formular, das Zentral- und Islamrat bereitstellen, wird nicht anerkannt. Diese Prüfung, die stark an die Gewissensprüfung für Kriegsdienstverweigerer erinnert, wird allerdings von Personen durchgeführt, die sonst wenig mit Religionsfragen zu tun haben: den staatlichen Veterinärämtern. Dass diese Zuständigkeit und das individuelle Verfahren wenig sachgemäß sind, hat man in Baden-Württemberg längst erkannt. Schon vor einem Jahr forderte Agrarminister Willi Stächele (CDU) ein bundesweites Anerkennungsverfahren für Religionsgemeinschaften, die das Schächten vorschreiben.
Doch nichts ist passiert. Bundesministerin Renate Künast (Grüne) ist das Thema offensichtlich zu heiß. Auch eine Aufforderung des Bundesrats im März letzten Jahres, die Bundesregierung möge eine „bundeseinheitliche“ Regelung für das Schächten treffen, wurde ignoriert. In Berlin heißt es nur: „Das Tierschutzgesetz, das die Möglichkeit von Ausnahmegenehmigungen aus religiösen Gründen schon immer vorsah, ist eine gute Rechtsgrundlage. Ob die Bedingungen vorliegen, müssen die Länder in jedem Einzelfall prüfen.“
Als Konsequenz haben die Länder die Grundlinien ihrer Politik abgesprochen, um einen Schächttourismus zu verhindern. Dazu gehört auch die Auflage, „dass Fleisch von geschächteten Tieren tatsächlich nur von Angehörigen bestimmter religiöser Gruppen erworben wird“. Wie dies konkret sichergestellt werden soll, ist noch unklar. Muss ein muslimischer Metzger nun seinerseits den Glauben seiner Kunden testen oder gar Namenslisten führen? Wohl aus Sorge vor derlei Exzessen hat sich auch der Landesverband der jüdischen Gemeinden im Rheinland mit den muslimischen Organisationen zu einem „Arbeitsausschuss“ zusammengefunden.
„Setzen Sie ein Zeichen!“
Auf der Gegenseite melden sich aber auch die Tierschützer zu Wort. In einem offenen Brief appellierte etwa Wolfgang Apel, Präsident des Deutschen Tierschutzbunds, an Islamrat und Zentralrat der Muslime: „Wenn Sie die Elektrokurzzeitbetäubung zulassen, setzen Sie auch ein Zeichen zur Integration der in Deutschland lebenden Muslime.“
Seit der Tierschutz im Mai letzten Jahres im Grundgesetz verankert wurde, sehen die entsprechenden Verbände ihre Position gestärkt. Allerdings hatte auch das Verfassungsgericht bei seiner Entscheidung zum Schächten dem Tierschutz schon großes Gewicht eingeräumt. Und die Frage, ob islamisches oder konventionelles Schlachten mehr Schmerzen verursacht, hat das Gericht ausdrücklich offen gelassen. Entscheidend war, dass bei der Frage nach den Glaubensvorgaben nicht auf den Islam insgesamt abzustellen sei. Es müsse vielmehr genügen, wenn man einer Gemeinschaft „innerhalb des Islam“ angehöre, die das Schächten vorschreibt.