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Archiv-Artikel

„Ich nehme Datenschutz ernst“

WOLFGANG SCHÄUBLE, geboren 1942 in Freiburg, ist seit November 2005 Bundesminister des Innern. Bereits in der Regierung Kohl hatte er von 1989 bis 1991 schon einmal dieses Amt inne. Der studierte Jurist trat 1965 in die CDU ein und ist seit 1972 Mitglied des Bundestags. Sein Amt als Partei- und Fraktionsvorsitzender musste er 2000 im Zuge der CDU-Spendenaffäre aufgeben. Er gehört nun dem CDU-Bundesvorstand sowie -Präsidium an und besitzt ein Direktmandat im Wahlkreis Offenburg.

INTERVIEW DANIEL SCHULZ UND VEIT MEDICK

taz: Herr Schäuble, haben Sie eigentlich eine Handynummer von T-Mobile?

Wolfgang Schäuble: Ja, in der Tat.

War die auch unter den 17 Millionen Daten, die vor zwei Jahren der Telekom geklaut wurden?

Das weiß ich ehrlich gesagt nicht. Meine Handynummer ist nun auch kein so großes Geheimnis. Ich habe meine Festnetznummer aus dem Telefonbuch genommen, weil sich manche Leute einen Spaß daraus machten, bei mir anzurufen. Einmal klingelte nachts um halb drei das Telefon. Es war ein Mann, der einfach wissen wollte, ob ich um diese Zeit zu Hause erreichbar sei. Offenbar hatte er mit jemandem gewettet.

Klingt gelassen. Stört es Sie als Telekom-Kunde nicht, dass Ihre Daten samt Kontoverbindung noch bis vor kurzem leicht übers Internet abrufbar und manipulierbar waren?

Man kam damit ja nicht an ein Konto selbst heran. Ich fühle mich nicht besonders gefährdet oder ausspioniert. Prinzipiell ist aber jeder Verstoß gegen Rechtsvorschriften ein kriminelles Delikt und muss aufgeklärt werden.

Telekom-Chef Obermann hat nun schon mehrere Male Besserung versprochen. Trauen Sie ihm noch?

Herr Obermann hat bei den bekannt gewordenen Vorfällen richtig reagiert. Ich habe auch den Eindruck, dass bei der Telekom ein hinreichendes Maß an Sensibilität für die Schwere der Vorfälle und des Vertrauensverlustes vorhanden ist.

Die Telekom ist kein Einzelfall. Hätte sich die Politik früher um den Datenschutz in der Privatwirtschaft kümmern müssen?

Man muss aus Fehlern lernen. Nur sollte niemand erwarten, der Rechtsstaat könne immer garantieren, dass gegen Gesetze nicht auch verstoßen wird. Seit Adam, Eva und der Erbsünde verstoßen Menschen auch gegen Regeln. Und da in der Informationsgesellschaft viel mehr kommuniziert wird als früher, betreffen die Vergehen nun einmal auch Datenmengen, die bis vor kurzem gar nicht vorstellbar waren.

Datenschutzbeauftragte, die Grünen, aber auch Konzerne wie Daimler fordern, Datenschutz grundgesetzlich zu verankern. Ein sinnvoller Schritt?

Ich halte wenig von der Aufnahme von immer mehr Dingen ins Grundgesetz. Das weckt Erwartungen, die nicht erfüllt werden könnten. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bereits aus dem Grundgesetz abgeleitet.

Das ersetzt keinen eigenen Artikel.

Eine solche Verfassungsänderung wäre der Ersatz von faktischem Handeln durch Rhetorik. Dafür ist das Grundgesetz nicht da.

Aber möglicherweise auch eine wichtige Signalwirkung.

Haben Sie den Eindruck, dass irgendjemand in Deutschland Datenschutz nicht wichtig nimmt? Und für Signalwirkungen ist das Grundgesetz nun wirklich nicht zuständig.

Dann müssen sich Verbraucher also weiterhin erst durch die Rechtsprechung und Gesetze wühlen, um die Rechte an ihren Daten zu verstehen?

Sie unterschätzen die Verbraucher. Die sind sich über ihre Rechtslage schon im Klaren.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte klagt seit Jahren über zu wenig Ressourcen. Warum stellen Sie Herrn Schaar nicht einfach ein paar Leute mehr zur Verfügung?

Natürlich können durch unsere geplanten Gesetzesänderungen neue Notwendigkeiten entstehen. Klar ist: Wenn er zusätzliche Aufgaben bekommt, muss er dafür auch die notwendige Ausstattung haben. Kommt es so, dann ist für mich durchaus vorstellbar, dass der Datenschutzbeauftragte personell und technisch besser ausgestattet wird. Aber Schritt für Schritt: erst die Gesetzgebung, dann wird der Haushaltsausschuss die Schlussfolgerungen ziehen.

Am Samstag haben in Berlin tausende Menschen gegen Überwachung demonstriert. Manche sprechen von einer neuen Bürgerrechtsbewegung. Freut Sie das?

Warum soll ich jetzt sagen, dass mich das freut? Das war eine europaweite Kampagne gegen die Vorratsdatenspeicherung. Ich halte diese Kritik für unberechtigt und halte auch die Ängste, die da bei jungen Menschen erzeugt werden, für falsch und unverantwortlich.

Warum?

Wir halten uns mit der Vorratsdatenspeicherung an die Umsetzung einer europäischen Richtlinie, und die halte ich angesichts des 11. September für richtig. Man muss immer wieder darauf hinweisen, dass schließlich nur die Verbindungsdaten für sechs Monate gespeichert werden. Wenn eine Polizeibehörde auf diese zugreifen möchte, muss das ein Richter genehmigen. Bei der derzeitigen Erregung ist es schwer, einer gewissen Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen. Das war bei der Volkszählung vor 25 Jahren nicht anders.

Auf den T-Shirts vieler Demonstranten war Ihr Konterfei abgebildet, darunter stand „Stasi 2.0“. Ärgert Sie das?

Ja, manchmal ärgert mich das schon. Besonders dann, wenn dieser Vergleich von Menschen kommt, die man eigentlich für gebildet hält. Die Gleichsetzung meiner Person mit der Stasi ist eine Beleidigung. Wer behauptet, es gäbe auch nur die entfernteste Ähnlichkeit zwischen der Realität in der DDR und in der Bundesrepublik, ist nicht nur geschichtsblind.

Ihren Kritikern macht Sorgen, dass die technischen Möglichkeiten der heutigen Sicherheitsorgane weit über die der Stasi hinausgehen …

Das ist doch Unsinn. Die Stasi hatte mehrere hunderttausend Mitarbeiter. Sie hat Menschen dazu gebracht, sich gegenseitig zu bespitzeln. Nicht einmal Ehegatten konnten einander trauen. Eltern mussten am Küchentisch darauf achten, was sie erzählen, damit ihre Kinder das nicht in der Schule ausplaudern. Das war eine Atmosphäre der Angst. Wer das mit der Bundesrepublik vergleicht, der diffamiert unsere Freiheitsordnung in einem Maße, wie wir es nicht zulassen dürfen. Wir haben nämlich in Deutschland schon einmal eine Freiheitsordnung durch verantwortungsloses und bösartiges Gerede derart diffamiert, dass am Ende die NS-Gewalt- und Willkürherrschaft an die Macht kommen konnte.

Auch Juristen und Politiker fürchten, dass die Demokratie hierzulande Züge eines Überwachungsstaates bekommt.

Wer schürt denn diese Angst? Wer hat denn den Leuten eingeredet, dass eine sechsmonatige Speicherung ihrer Kommunikationsdaten eine Bedrohung der Freiheit sei? Das waren gewisse Medien, Organe wie das Ihre gehören leider bisweilen auch dazu. Dabei ist es eine Frechheit, dass wir uns ausgerechnet von der politischen Linken vorhalten lassen müssen, unsere Sicherheitsorgane seien mit der Stasi vergleichbar. Dahinter steckt bei manchen natürlich auch der Versuch, die Stasi im Nachhinein zu verharmlosen.

Große Datensammlungen führen nun mal schnell zu Pannen bei sensiblen Informationen. Oder sehen Sie das anders?

Das ist wahr. Es gibt diese Risiken. Alles in der Menschheitsgeschichte ist eben nicht nur Fortschritt, sondern birgt immer auch eine Gefahr. Wir haben das Telefonbuch bis vor kurzem noch als Alltagshilfe empfunden. Heute gilt es manchen wohl als riesige Datensammlung. Wollen wir deswegen auf die Vorzüge eines Telefonbuches verzichten? Das ist doch Maschinenstürmerei. Ich nehme den Datenschutz ernst, und damit er wirksamer realisiert werden kann, legt die Bundesregierung jetzt auch ein neues Gesetz vor.

SICHERHEITSGESETZE

Die Onlinedurchsuchung ist Teil der neuen Befugnisse des Bundeskriminalamts. Sie wird es den Beamten ermöglichen nach einem richterlichen Beschluss die privaten Computer von tatverdächtigen Schwerstkriminellen zu durchsuchen.

Im Zuge der Vorratsdatenspeicherung müssen die deutschen Telekommunikationsunternehmen seit dem 1. Januar 2008 sechs Monate lang speichern, wer wann mit wem telefoniert hat. Ab 2009 wird dies auf das Internet ausgeweitet. Ermittler haben mit einem richterlichen Beschluss Zugriff auf diese Daten.

Ein Telefonbuch lässt sich schwer mit Millionen Verbindungsdaten vergleichen. Die Frage ist, ob die Speicherung derart vieler Angaben nicht ein höheres Risiko darstellt als die Gefahren, vor denen Sie schützen wollen.

Das heißt, Sie wollen die Informationstechnologie ganz abschaffen?

Sie argumentieren sehr schwarz-weiß.

Ich bleibe nur in der Logik Ihrer Frage. Und wenn ich die weiterdenke, kann man nur zu diesem Schluss kommen.

Nein. Viele Polizeibeamte sagen etwa, dass sie auch ohne Vorratsdatenspeicherung erfolgreich ermitteln können. Sie hätten lieber noch ein paar mehr Beamte.

Klar. Aber ich kann doch trotzdem den Einsatz von Dienstfahrzeugen nicht verbieten und Beamte wieder auf Fußstreife schicken. Da muss nur ein Verbrecher mit einem schnellen Auto fahren und schon wären die Polizisten abgehängt.

Trotzdem: Wird Ihnen nicht mulmig zumute, dass ausgerechnet Konzerne wie die Telekom Verbindungsdaten speichern sollen?

Ich werbe dafür, dass man die Telekom fair beurteilt, in der Führung ist die Sensibilität vorhanden. Insofern kann man dem Konzern schon vertrauen.

Ein anderes umstrittenes Projekt sind die von Ihnen geplanten neuen Befugnisse für das Bundeskriminalamt. Am Freitag sollte darüber abgestimmt werden, das wurde auf Betreiben der SPD wieder verschoben. Kippt die Onlinedurchsuchung doch noch?

Auf Kabinettsebene sind wir längst einig. Der Bundestag berät noch, aber ich bin zuversichtlich, dass das Gesetz in Kürze verabschiedet werden kann.

Dann wird das BKA künftig Wohnungen überwachen, Telefone abhören und Festplatten durchsuchen können. Stellen Sie alle Bürger unter Generalverdacht?

Unsinn, wir stellen niemanden unter Generalverdacht. Das BKA hat eine neue Aufgabe übertragen bekommen: die Abwehr terroristischer Gefahren. Dazu braucht es genau die gesetzlichen Befugnisse, die jede Landespolizei seit 60 Jahren hat. Im Übrigen sehe ich nicht, dass es gegen den Gesetzentwurf durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gibt. Das zeigte auch die Anhörung im Bundestag. Jeder Kabinettskollege weiß, dass es mein Ministerium mit der Frage der verfassungsrechtlichen Beurteilung sehr ernst nimmt. Ich schütze Grundrechte, ich gefährde sie nicht.