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Archiv-Artikel

DIE TÜRKEI HAT KEINEN ANSPRUCH AUF UNTERSTÜTZUNG DURCH DIE NATO Gegen Saddam nur auf eigene Rechnung

Die Türkei hat ein Problem mit der Nato, das versteht man gut. Die Regierung in Ankara muss aber auch verstehen, dass die Nato ein Problem mit der Türkei hat, wenn sich diese von den USA in einen Irakkrieg einspannen lässt. Denn Washingtons „Koalition der Willigen“ ist ohne Legitimation des Sicherheitsrates nicht völkerrechtskonform.

Die Nato aber ist selbstverständlich an das Völkerrecht gebunden. In Artikel 1 verpflichten sich die Partner, in Übereinstimmung mit der UN-Satzung internationale Streitfälle friedlich zu regeln „und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind“. Die Beteiligung an einem Krieg ohne UN-Mandat geht auf eigene Rechnung der Nato-Mitglieder.Wenn die Türkei bei einem Unternehmen, das völkerrechtlich als Angriffskrieg zu qualifizieren ist, zum Opfer irakischer Attacken wird, hat sie keinen vertraglichen Anspruch auf Nato-Solidarität.

Dafür gibt es einen interessanten Präzedenzfall. 1964 wollte die türkische Armee in den Bürgerkrieg in Zypern intervenieren. Die Invasion wurde durch einen Brief gestoppt, den US-Präsident Johnson am 5. Juni an den türkischen Regierungschef Inönü richtete. Darin warnte er, die Sowjetunion könnte auf ein türkisches Zypern-Abenteuer feindselig reagieren. Dann aber sei die Nato nicht verpflichtet, „die Türkei gegen die Sowjetunion zu schützen, wenn die Türkei einen Schritt unternimmt, der eine sowjetische Intervention auslöst, ohne die volle Zustimmung und das Verständnis seiner Nato-Alliierten zu haben“. Damals spielte Präsident Johnson die Rolle des Warners vor einem „provozierten“ Krieg. Sein Nachfolger Bush jr. will die Türkei auf einen Feldzug mitnehmen, den die USA bewusst nicht als Nato-Unternehmen planen, weil ihnen die militärische Handlungsfreiheit wichtiger ist als die völkerrechtliche Legitimation.

Alle Welt weiß, dass die große Mehrheit der türkischen Bevölkerung gegen diesen Krieg ist. Alle Nato-Partner wissen, dass die Regierung Erdogan/Gül ein höchst widerspenstiger Waffenbruder Washingtons ist. Wenn die Nato der Türkei die Solidarität verweigert, ist das gewiss ein politischer Härtefall. Aber ohne kriegsermächtigende UN-Resolution kann sie gar nicht anders handeln.

Wie sich einzelne Nato-Länder verhalten, ist eine andere Sache. Aber auch die Bundesregierung muss wissen, ob sie dem türkischen Generalstab traut. Der könnte im Irak ganz eigene Interessen verfolgen, die mit deutsch-türkischer Freundschaft nichts mehr zu tun haben. NIELS KADRITZKE