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Archiv-Artikel

Auch Museen werfen Dreck

Die Kunsthalle schlägt zurück: Im Streit um die eingekellerten Grosz-Gemälde erklärt die Museumsleitung die Rückgabeforderungen für gegenstandslos. Nachlassverwalter Ralph Jentsch habe „dem Künstler und seinen Erben unabsehbaren Schaden zugefügt“. Fakt ist: Er hat seinen Anwalt eingeschaltet

Die vermeintlich irreguläre Kunst-Spedition ist eine Branchengröße

Die Bremer kennen sie noch nicht. Während der Streit zwischen George Groszens Erben und der Kunsthalle durch einen großen Wurf der Museumsleitung in eine Schlammschlacht abzurutschen droht, hat kein Hansestädter den Gegenstand der Auseinandersetzung je gesehen. Es sei denn, er arbeitet in der Kunsthalle und kennt ihre Magazine: Dort nämlich schlummern beide Gemälde seit Jahrzehnten. Das „Stilleben mit Okarina“, in verstörend-schrillen Farben auf Goldgrund gemalt, seit 30 Jahren. Und immerhin seit 1979 auch „Pompe funèbre“, jenes französische Sarggeschäft – mit makabrem Sensemann.

Geht es nach dem Willen der Kunsthallenleitung, wird das so bleiben: In einer außerordentlich scharf formulierten Stellungnahme wies deren Leitung gestern den von Grosz-Nachlassverwalter Ralph Jentsch für die Söhne des Malers erhobenen Restitutions-Anspruch zurück. „Nach Abschluss unserer Prüfung“, heißt es, „sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die Forderung gegenstandslos ist.“ Aus der Tatsache, dass George Grosz die fraglichen Gemälde seinem Galeristen Alfred Flechtheim in Kommission überlassen hatte, könnten die Söhne des Malers weder moralische noch rechtliche Ansprüche ableiten. „Das Schreiben basiert auf einem Rechtsgutachten“, präzisierte Kunsthallen-Sprecherin Christine Kramer gegenüber der taz. Dem Museum gehe es dabei um die „Klärung der Sachlage“.

Dafür spricht allerdings nicht der Ton der Verlautbarung: Sie attackiert zumal den Nachlassverwalter persönlich. „Herr Jentsch“ habe durch sein Vorgehen „dem Ansehen des großen jüdischen Galeristen Alfred Flechtheim“ und „dem Künstler und seinen Erben unabsehbaren Schaden zugefügt“.

In der Tat hatte der Nachlassverwalter noch vor Klärung des Sachverhalts eine Spedition mit der Abholung der Bilder beauftragt – ein offenbar mehr symbolischer Akt, nachdem die Kunsthalle seine zunächst mündlich und leibhaftig, danach schriftlich vorgetragenen Forderungen seit November unbeantwortet gelassen hatte.

Nun wertet die Institution diesen Schritt als eine Art Überfall. Der entbehre „jeder angemessenen Seriosität“ und sei „schon deshalb beispiellos“, weil das fragliche Münchner Fuhrunternehmen nicht auf Gemäldetransporte spezialisiert, aber historisch einschlägig belastet sei. Es handele sich um „dieselbe Spedition, die bereits 1937 von den Nationalsozialisten mit dem Abtransport der als entartet deklarierten Kunst“ beauftragt worden sei. Ist das nicht ein Schlag unter die Gürtellinie? Davon will Museums-Sprecherin Kramer nichts wissen. Schaut die Kunsthalle auch ihren Ausstellungs-Sponsoren so genau auf die Vergangenheit? „Da sehe ich keinen Zusammenhang.“ Jedenfalls beschäftige man „nur ausgewiesene Kunst-Speditionen“. Garantiert ohne einstige Entartungstransporttätigkeit? Schweigen. Überhaupt stelle die Bemerkung „nur einen Sachverhalt dar. Sie müssen’s ja nicht zitieren.“ So reagiere man halt „auf den moralischen Angriff“ von Herrn Jentsch. Ein Gegenschlag? „Wir überlassen die Interpretation den Lesern.“ Sibyllinisch.

Für manche Sachverhalte sind Hintergrundinformationen allerdings unentbehrlich. In diesem Fall ist von Relevanz zu wissen, dass niemand auf der ganzen Welt – ausgenommen vielleicht die Leitung der Bremer Kunsthalle – Kunstspeditions-Diplome oder Zertifikate vergibt. Das macht zumindest die Unterscheidung von regulär und irregulär in der Branche ausgesprochen schwierig.

Zudem ist die Münchner Firma Wetsch, die laut Geschäftsführer Ulrich Saul bereits ab Mai 1945 wieder mit alliierter Genehmigung als Transportunternehmen arbeiten durfte, tatsächlich nicht völlig unerfahren in Sachen Gemälde-Transport. Der vermeintliche kleine Klitschenklub war zuständig für sämtliche Bilder-Bewegungen bei der Einrichtung der Neuen Pinakothek in der bayrischen Hauptstadt. Muss man in Bremen ja nicht wissen, aber das ist ein durchaus beachtlicher Museumsneubau. Mit einer herausragenden Sammlung.

Ortswechsel: Im beschaulichen Esslingen am Neckar hat Ralph Jentschs Rechtsberater seine Kanzlei. Der Anwalt rät zur Deeskalation. „Das Vorpreschen der Kunsthalle“, so Stefan Schlaegel, sei „sicher einigermaßen unglücklich“. Er werde der Museumsleitung dennoch „einen freundlichen Brief schreiben“. Für das Wichtigste halte er, „dass erst einmal alle Beteiligten denselben Kenntnisstand haben“. Gerade in dieser komplizierten Materie gebe es „eine außerordentlich große Zahl von Vorschriften und Normen“, die im Einzelfall zu prüfen seien. In der Hauptsache handelt es sich dabei zwar nicht um positives Recht. Unverbindlich sind die betreffenden Charten, wie das Abkommen des Internationalen Museumsverbandes ICOM, jedoch nicht. „Da müsste die Kunsthalle schon einen sehr genauen Nachweis führen.“

Ob der Rechtsberater der Kunsthalle die gesamte Vielfalt der Konventionen wirklich unter die Lupe genommen hat? Die Erklärung des Museums lässt da arge Zweifel aufkommen: So wird betont, dass der Erwerb der beiden Bilder in den 70er-Jahren „in jeder Hinsicht rechtmäßig“ erfolgt sei. Das allerdings war nie in Abrede gestellt worden. Nicht so eindeutig ist jedoch die als „Tatsache“ dargestellte Behauptung, „Flechtheim beziehungsweise seine Erben“ hätten die fraglichen Bilder „verkauft“. So gab es keine legalen Erben Flechtheims: Die Mitglieder der Familie hatten sich durch Selbstmord vor der Deportation gerettet. Und der Besitz des großen Galeristen wurde 1938 zwar im freien Amsterdam, aber doch unter höchst fragwürdigen Umständen versteigert. Nicht dazu gehörte schon damals das „Stilleben mit Okarina“. Das hatte ein gewisser Alfred Schulte, als Wirtschaftsprüfer für die Auflösung etlicher jüdischer Kunsthandlungen im Berlin verantwortlich, unter seine Fittiche genommen.

Wie das beurteilen? Es gibt selbst in dieser heiklen Materie – wenn auch nicht in Bremen – Experten jenseits der Parteien. So hat die Hamburger Kunsthalle eine eigene Stelle für Provenienzforschung. Ute Haug prüft dort die Herkunft aller Neuerwerbungen seit 1933: Darauf, ob eine rechtliche, und darauf, ob eine moralische Verpflichtung zur Rückgabe besteht. „Eine solche Beschlagnahme“, bestätigt sie, „würde den Vergleich mit Beutekunst voll rechtfertigen.“

Benno Schirrmeister