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Archiv-Artikel

herr tietz macht einen weiten einwurf FRITZ TIETZ über Straßenfußballer

Jenseits von Am Poggenbrink

Fritz Tietz ist mittlerweile 44 Jahre alt, lebt aber immer noch als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.

Es läge natürlich in erster Linie an unseren verkehrsreichen und zugeparkten Straßen, dass es heute – so jedenfalls geht die hierzulande immer wieder gern geführte Klage – „keine echten Straßenfußballer mehr gibt“. Nur noch gelegentlich wird dem einen oder anderen aktuellen Profi bescheinigt, dass er „einer der letzten richtigen Straßenfußballer ist, die wir noch haben“, so sich dann die einschlägigen Experten einander sorgenvoll zuraunen und gegenseitig versichern. Und stets schwingt neben der einmütigen Wertschätzung, die diesem archaischen Spielertypus entgegengebracht wird, eine gehörige Stange Wehmut mit und auch ein Stückchen Bedauern. Mythos Straßenfußball.

Nie allerdings hört man Genaueres über jene Straße, in der ein solcher Straßenfußballer seine ersten Ballberührungen hatte. In den sogenannten Steckbriefen der Straßenfußballspieler werden zwar alle ihre Vereine aufgezählt, ihre Straßen aber nicht mal namentlich erwähnt. Und auch sonst erfährt man kaum Einzelheiten, etwa über die Breite oder die Länge ihrer Straßen, die Beschaffenheit der Fahrbahnen oder die Bordsteinkantenhöhen, obwohl das sicherlich ganz aufschlussreich wäre.

Denn so könnte man mal einen Vergleich zu der eigenen Straße ziehen und so endlich auch eine Antwort darauf finden, warum die eigene, dort begonnene Fußballer-Laufbahn nicht in der Bundesliga endete, sondern bereits, wie mir das erging, nach einem Probetraining mit der Schulmannschaft, zu dem ich mit Fünfzehn ein- und von deren Trainer, Lateinlehrer Taesler, anschließend auch gleich wieder ausgeladen wurde: „Schönspieler ham wa hier schon genug!“, war damals die Begründung.

Offenbar hat mir meine Straße (Am Poggenbrink, Bielefeld) nicht die günstigsten Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Fußballerkarriere geboten. Woran aber lag’s im Detail? Waren vielleicht die Bordsteinkanten zu niedrig? Höhere und eventuell auch weniger ebenmäßige Kanten hätten mir möglicherweise mehr Balllupfgefühl eingegeben und mein allgemeines Tricksertum noch kompletter ausgebildet. Könnte aber auch sein, dass die Gullydeckel, die uns damals als Tore dienten, nicht weit genug auseinander lagen, sodass ich zwar mein Kurzpassspiel einigermaßen perfektionierte, meine Anlagen jedoch für die weiten Wege und öffnenden langen Flanken schon sehr früh verkümmern ließ.

Denkbar auch, dass mir meine frühen Kickkameraden – Drawe, Neumann, Böhnke, Hammerschmidt, die Bohle-Brüder und wie sie alle hießen – beim täglichen Straßenmatch nicht alles abverlangten und sich mein Zweikampfverhalten deshalb nur unzureichend entwickelte. Vermutlich ging es mir aber einfach nur zu gut, und meine Kindheit in dieser gutbürgerlichen Wohngegend, in der meine Straße lag, war eine insgesamt zu behütete und abgesicherte. Etwas mehr soziales Elend hätte mir vielleicht zu mehr Ehrgeiz und Biss verholfen.

Die Straße, in der ich heute lebe (Wübbenhof, Seevetal), ist schon wegen ihrer Hanglage nicht gerade ein geeignetes Straßenfußballfeld. Obendrein herrscht auf ihr ein zu reger Verkehr, als dass man auf ihr an einem anständigen Stück kicken könnte. Und da zu jedem Haushalt hier mindestens zwei Autos gehören, ist sie auch ständig zugeparkt. Außerdem leben hier mittlerweile mehr Hunde als Kinder, und die nutzen die Fahrbahn, wenn sie sie überhaupt mal nutzen, eher zum Rollschuhlaufen, Radeln oder, was bei einigermaßen Schnee wirklich prima geht, zum Rodeln.

Nur manchmal sieht man die Fliegel-Jungs von weiter unten auf einem Garagenhof gelangweilt einen Ball hochhalten. Kaum vorstellbar also, dass von hier aus eine große Fußballerkarriere startet, und eigentlich auch ganz gut so. Neulich tauchten hier nämlich ein paar Halbwüchsige auf, die einen Ball ständig gegen eins der Garagentore traten. Was einen so tollen Krach machte, dass ich gleich raus musste, um sie zu verscheuchen. So weit kommt das noch, dass hier welche anfangen, auf Kosten meiner Ruhe den Straßenfußball wieder zu beleben.