: Rechtfertigungsideologie
betr.: „Weltverantwortung ohne Raubkrieg“ (Eigentlich ist die Zeit der Multipolarität längst vorbei), Kommentar von Sibylle Tönnies, taz vom 12. 2. 03
Frau Tönnies singt in ihrem Kommentar das Lob der Weltregierung, die für Ordnung auf einem chaotischen Planeten sorgen solle, und weist diese Rolle sogleich der einzig verbliebenen Weltmacht USA zu. Somit schließt sie sich der Ideologie amerikanischer Neokonservativer an, die den Weltherrschaftsanspruch damit begründen, dass die eigene Herrschaft schließlich das Beste sei, was der Welt passieren könne. Wahrscheinlich gab es kein Imperium in der Geschichte der Menschheit, das nicht über eine ähnliche Rechtfertigungsideologie verfügte, sei es das britische, das römische oder das Mongolenreich. „Friedensstiftend“ sind diese Imperien immer nur aus der Perspektive ihrer jeweiligen Herrscher.
Wenn Frau Tönnies schreibt „Zentralisierung zu bevorzugen bedeutet noch nicht, Kriege gutzuheißen“, so zeugt dies von bestaunenswerter Kurzsichtigkeit und Geschichtsferne. Wer A sagt, muss auch B sagen. Übersetzt: Wer die Herrschaft eines Teils der Welt über einen anderen Teil für gut und wünschenswert hält, der kann zu den Kriegen, die zu ihrer Aufrechterhaltung geführt werden, schwerlich Nein sagen. Die Wahl zwischen Unipolarität und Konkurrenz der Großmächte ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Eine menschlichere Zukunft hängt nicht davon ab, ob Herrschaft und Gewalt so oder anders organisiert werden, sondern ob sie schließlich, wenn nicht abgeschafft, doch zumindest so weit wie möglich zurückgedrängt werden.
JOHANNES ROHR, Engelskirchen