: Zu Gast im Massai-Hotel
Märchenhafte Lehmhäuser mitten im Busch von Kenia. Doch keine üblichen Safari-Lodges für Touristen: Die freundlichen Hoteliers sind Massai, und die erwirtschafteten hier auch die Gewinne
von EVA-MARIA SCHREINER
John Olepesi, der schlanke 28-jährige Stammes-Chief eines Runddorfes, hat seine von Pflöcken ausgedehnten Ohrläppchen um die obere Ohrmuschel drapiert. Als Krieger besitzt er Schild und Speer. „Um unsere Tapferkeit zu beweisen, zogen wir damit auf Löwenjagd und raubten Rinder, unser wertvollstes Gut“, sagt der Massai John. Seit jedoch die Löwen geschützt sind, auf Viehdiebstahl Gefängnis steht und die Massai mit ihren großen Kuhherden aus den fruchtbaren Gebieten in kargere Landstriche vertrieben wurden, müssen sie sich immer öfter als exotisches Volk vermarkten.
„Dieses große Land gehört allen Kenianern. Es konnte nicht sein, dass nur wir Weißen von der Fülle der Natur profitieren. Es war nur gerecht, die Massai an unseren Einkünften zu beteiligen“, lautet Michael Dyers gönnerhafter Standpunkt. Der Mittvierziger ist einer der größten Farmer Nordkenias. Mit seiner Familie betreibt er am Fuß des Mount Kenia eine Rinderranch und die Luxuslodge „Borana“. Mit befreundeten, ebenso liberalen und engagierten Farmern sammelte er vor neun Jahren Geld, um die erste Massai-Lodge zu errichten: Die abgeschiedenen Gästehäuser, die die Männer der Massai verwalten, werden in Afrika „Communitiy Lodges“ oder „Group Ranches“ genannt. Sie sind an den schönsten Stellen im Busch gelegen und überraschen durch ihre verspielte, märchenhafte Architektur. Als Starthilfe vermittelten die Initiatoren Know-How, von Backen bis Bettenmachen. Jetzt kümmern sie sich um die Reservierungen, halten sich aber im Hintergrund. Der Gewinn aus dem sanften Tourismus wird innerhalb der Massai-Gemeinschaft aufgeteilt.
Michael Dyer startet seine Privatmaschine so selbstverständlich wie andere ihr Auto. Seit 20 Jahren ist er sein eigener Pilot. Wie ein Moskito bewegt sich sein hellgrünes Flugzeug surrend am Himmel. Bevor er den Flieger schaukelnd auf einem Streifen gelber Erde aufsetzt, zeigt er nach unten, auf „Il N’gwesi“ – Kenias erste Massai-Lodge, die er ins Leben rief und von der heute fünfhundert Familien leben.
Ganz in Erdtönen gehalten, ist das Lehmhaus von der Landschaft kaum zu unterscheiden. Das Ökobauwerk mit seinen sechs Schlafhütten liegt angeschmiegt an eine Anhöhe zwischen Bäumen, wie ein Horst. Die fantasievollen Holzkonstruktionen, Hängebrücken und Balkone wirken wie organisch gewachsen. Holzstufen führen auf eine Terrasse aus Zedernholzplanken. Viele Besucher überfällt kindliche Abenteuerlust, als wären sie dabei, in ein Baumhaus zu klettern. Doch unter den steilen, kunstvoll mit Sumpfgras gedeckten Dächern, ist für Komfort gesorgt: Die Treibholzsofas sind mit Leder bezogen. Kissen und Decken bestehen aus afrikanischen Webstoffen. Vom Teppich bis zur Stehlampe hat Michael Dyers Frau Nicky die Öko-Lodge so puristisch wie originell möbliert. „Das Baumaterial, den Lehm, haben wir aus dem Fluss geschöpft. Die Gräser für das Dach haben wir gestampft, bis sie geschmeidig waren“, sagt Massai Edward Leggi, der Manager der Lodge. Drei Massai in Ledersandalen, den Oberkörper mit Ketten behängt, servieren zur Erfrischung Tee und Cookies. Für die weiteren Menüs an der imposanten Tafel gilt jedoch die Devise: Jeder Gast bringt seine Lebensmittel aus der fünf Autostunden entfernten Hauptstadt Nairobi mit. Fleisch, Fisch und Gemüse – die Speisen selbst bereiten dann die Köche der Massai nach Absprache zu.
In der Dämmerung nehme ich in meinem Freiluftbadezimmer eine warme Dusche (das Wasser wird mit Solarzellen erhitzt). Der freie Rundblick über die weite Landschaft ist großartig.
Nachts herrscht im Busch ein Höllenlärm. Es kreischt und gluckst, wimmert und klagt. Die Tiere klingen bedrohlich nah, da alle Räume zum Tal hin offen sind. Gut zu wissen, dass sechs bewaffnete Massai-Scouts Wache halten. Aus Sicherheitsgründen besteht auch ständiger Funkkontakt zu den Nachbarfarmen, und bei Problemen steht ein Jeep bereit. In dem imposanten Zedernholzbett träume ich unter dem Moskitonetz von der Lieblingsfarbe der Massai: Scharlachrot, Purpurot, Rot in allen Nuancen, das mich vor den hungrigen Löwenrudeln draußen in der Dunkelheit schützt. „Wie hast du geschlafen?“, fragt am nächsten Morgen Edward, der Chef, grinsend. „Die zweite Nacht ist immer ruhiger“, tröstet er.
Noch tiefer im nordkenianischen Busch liegt „Tassia“. Mit pilzförmigen Gebäuden, runden dreistöckigen Türmen und einem Pool mit Panoramablick wirkt die Lodge wie die Zeichnung aus einem Bilderbuch. Diese Group Ranch am heiligen Berg Lolokwe wird von den Mokogodo-Massai bewirtschaftet. Die meisten Besucher reisen mit einem Charterflugzeug von Nairobi an. Flitterwochen, große Familientreffen oder Geburtstage sind willkommene Anlässe, die Wildnis aufzusuchen und ihre Faszination zu genießen.