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Archiv-Artikel

„So isch‘s recht“

Dieser Tage feierte ein Urviech der Unterhaltung, Gotthilf Fischer, seinen 75sten Geburtstag in einem schwäbischen Restaurant – die taz feierte mit

aus Stuttgart KATHRIN HAASIS

Die gesetzten Herren Stuttgarts haben ihre Bastion verteidigt. Zwischen der verratzten Szenebar „1. Stock“, dem Fast-Food-Joint „Veggie Voodoo King“ und dem verglasten „Deli“ sammeln sie sich im „Kachelofen“. Seit Jahrzehnten serviert Wirt Günther Bernthaler, genannt Bernie, hier Linsen mit Spätzle, Maultaschen oder Saure Kutteln. Lothar Späth hat in dem holzgetäfelten Lokal Hof gehalten, der VfB-Grande Mayer-Vorfelder so manches Weinschorle geschlotzt, SWR-Intendant Voß war mit Gattin da – und Bernie hat sie alle an die Wand gehängt.

An diesem Abend scharwenzelt der Wirt wieder aufgeregt um einen Tisch herum. „Hochzeitssuppe!“, ruft er. „So isch’s recht“, antwortet Gotthilf Fischer. Der Mann hat Geburtstag, einen runden, und ist sehr mitteilungsbedürftig. Zum Beispiel hat er genug von der Kritik. „Augen und Ohren zu“ ist sein Lebensmotto, verkündet er zwischen zwei Löffeln. Und überhaupt: „Da gab es einen, der hieß Jesus Christus, den haben sie sogar gekreuzigt.“

Eine höhere Macht hat Gotthilf Fischer genau vor einem Dreivierteljahrhundert auf diese Erde gebracht – mit einer hehren Mission, daran glaubt der Herr der singenden Heerscharen fest. Solange die Menschen ihn brauchen, macht er weiter. „Ich will dirigierend in die Kiste fallen.“

Aber das kann dauern. Schließlich hat der 75-Jährige schon drei Autounfälle überlebt, drei Flugzeugabstürze, die RAF, auf deren Todesliste er im heißen Herbst stand wegen Volksverhetzung, und eine sagenumwobene Ecstacy-Pille.

Zwei Päpste überlebt(en)

Gotthilf macht glücklich. Zum Beispiel seine Klavierlehrerin. „Er war der begabteste und fleißigste“, erzählt Frau Walter in der Gala-Sendung und nickt freudig mit dem bebrillten Köpfchen. Nach der Videovorführung zählt ein Fernsehredakteur unablässig auf: Gotthilf hat zwei Päpste mit Liedern erfreut, hat Silvia mit der Komposition „Die Krone der Liebe“ zu ihrer Hochzeit mit dem Schwedenkönig gratuliert, bei der Fußballweltmeisterschaft 1974 mit 1.500 Chorknaben und -mädels vor Millionen gesungen, dem US-Präsidenten Jimmy Carter eine „klingende Friedensbotschaft“ überbracht, im „Big Brother“-Container die Langeweile vertrieben und der Love Parade „Hoch auf dem gelben Wagen“ untergejubelt.

„Gotthilf ist die schärfste Waffe der ARD gegen Gottschalk“, sagt ein anderer Redakteur. Mindestens zwölf Millionen Menschen schalten ein, wenn er sich samstags zur besten Sendezeit vor das blauumhimmelte Matterhorn stellt, den Zeigefinger Richtung Kamera streckt und mit den Mundwinkeln die Backen zu kleinen Bergen zusammenschiebt. „Sing mit, lass alle Sorgen Sorgen sein. Komm her zu uns, bleib nicht allein“, lässt er anstimmen und die zu zwei Dritteln weibliche Zuschauerschar über 60 findet die Welt wieder heil. „Das ist Umweltschutz“, verkündet der Dirigent. „7 Prozent Akademiker, 19 Prozent ohne Schulabschluss“, flüstert der Redakteur. – „Gotthilf, hasch dei Viertele?“, will Bernie wissen und kontrolliert aus den Augenwinkeln die Kellnerin beim Austeilen des Rinderbratens.

Eine „dienende Aufgabe“ hat er sich aufgebürdet, erklärt der Jubilar. Er ist ausgezogen, um Balsam auf wunde Seelen zu schmieren und – viel wichtiger – das deutsche Volkslied vor dem Aussterben zu retten. „In diesem Land gibt es ja keine Männer mehr, die grade stehen“, sagt er. Jede Nation verehrt ihr Kulturgut, nur die Deutschen, die verpönen es. Schon aus Trotz dirigiert und komponiert Gotthilf Fischer munter weiter. „Goethe und Schiller werden belächelt, als ob sie nichts mehr wert wären.“ Dann schüttelt er mit dem Kopf und ruft, nicht nur einmal: „Die Japaner lernen in der Schule sechs deutsche Volkslieder als Pflicht!“

„Mir war schlecht“

Wenn doch jeder Weltstar nur ein Volkslied sänge – die deutsche Jugend würde jubeln. Na ja, ein Problem gibt es: „Die Melodien sind unsterblich, aber die Texte untragbar.“ Gotthilf hat die Zeichen der Zeit erkannt, sagt sein Sendungsleiter, darauf basiert sein Erfolg. Dieses Jahr will er zum Beispiel wieder nach Berlin zur ravenden Jugend. „Trotz Drogengefahr?“, will jemand wissen. Pah! Alles erlogen! „Schwindelig war mir und schlecht, geschwitzt hab ich“, sagt er, mehr weiß er nicht. „Die Medien machen mit einem ja, was sie wollen“, erklärt der Jubilar – und was man mit sich machen lässt: Für die deutsche Adaption des schrägen britischen Comedy-Formats „Banzai“ (lief 2001 bei Sat.1) jedenfalls ließ sich Gotthilf Fischer weiland live das Gemächt wiegen.

Auch mit der Klatschreporterin der Bild-Zeitung ist Fischer per du. „Was gibt’s Neues, was kann ich schreiben?“, fragt die denn auch, und er sagt: „Ich bin Seniorweltmeister im Bobfahren!“ Dann zupft er dem Fernsehmann am Ärmel: „Gibt es eigentlich ein Bild davon?“

Wirt Bernie hat die Kamera gezückt, Gotthilf prostet zu. Man muss ihn geradezu davon abhalten, nicht alle Gegenstände gleich zu signieren. Zwischendurch sagt er Sätze wie: „Ötzis erste Frage nach dem Auftauen: Dirigiert der Fischer noch immer?“ – Er lacht und seine Entourage lacht mit, auch wenn sich nach einer Stunde alles wiederholt. Sein Gesichtsausdruck bleibt unbeeindruckt fröhlich, nur manchmal erschlafft die strapazierte Muskulatur kurz. „Der Tod ist die einzige Wahrheit, die man nicht manipulieren kann“, sagt der 75-Jährige in einem solchen Augenblick.