Gott schütze die Hysterie

Im Falle eines chemischen Angriffs bitte Isolierband und Plastikfolie bereithalten! Die amerikanische Bevölkerung bereitet sich auf einen Krieg vor

Seit vergangenem Freitag herrscht in den USA mit „Threat Level Orange“ die zweithöchste Sicherheitsstufe, und glaubt man den Zeitungen, sehen die Amerikaner spätestens seit dem am Dienstag in Umlauf geratenen Bin-Laden-Video rot. Die New York Times präsentierte auf der Titelseite vier Fotos von Flugabwehrraketen in Washington, patrouillierenden Polizisten in New York, leeren Regalen in Baumärkten in Virginia und Schlangen vor den Kassen von Jodtabletten verkaufenden Drogerien in Manhattan. Im Blatt dann Bilder von Gasmasken führenden Läden bei Atlanta, Geschichten von improvisierten Hausbunkern in Georgia, vorgefertigten Abschiedsbriefen („Mami ist jetzt im Himmel“) und allem weiterem, was sich von einer Bevölkerung zwischen „fear and fatalism“ so berichten lässt. Die Regierung hat empfohlen, Wasserflaschen und Konserven zu horten sowie für den Fall eines chemischen Angriffs Isolierband und Plastikfolie parat zu haben. Praktische Tipps zur Erkennung der Chemikalien lieferte die Polizei: Zyanid riecht nach verbrannten Mandeln, Sarin wie Juicy-Fruit-Kaugummi.

Unter Friedensaktivisten werden die empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen eher als Panikmache verbucht. Panik, die die Bevölkerung generell mürbe und für einen Angriffskrieg willig machen soll. Und Angst, die Menschen durch wiederholte Warnungen vor Selbstmordattentaten an diesem Wochenende konkret von der Teilnahme an der heutigen Antikriegsdemonstration in New York abhalten soll. Die Organisatoren der Veranstaltung, das Bündnis „United for Peace and Justice“, werfen der Polizei bereits seit längerem eine perfide Abschreckungsstrategie vor. Wochenlang hatten sie um die Erlaubnis eines Demonstrationszugs vor den Vereinten Nationen gebeten, aber erst am 10. Februar, nachdem das Bündnis die Stadt New York auf sein Demonstrationsrecht verklagt hatte, gab es eine Entscheidung – abschlägig. Nun fürchten die Veranstalter, dass viele Menschen an dem Ereignis nicht teilnehmen werden, da sie es für illegal halten. De facto wurde jedoch nur der Demonstrationszug („march“), nicht die Versammlung („rally“) verboten; ein Unterschied, der vielen Menschen aus der breiten Bevölkerung, die man sich heute hier erhofft, nicht unbedingt bewusst ist. Die Polizei hatte „United for Peace“ vor Gericht übrigens mit ihren eigenen Waffen geschlagen: 50.000 bis 100.000 Teilnehmer hatte das Bündnis angekündigt, mit der Hoffnung auf viele durch das Internet Mobilisierte mehr. Internetmobilisation, sagte da der Police Commissioner, könne er nicht einschätzen, und ohne genaue Zahl sei keine Sicherheit garantierbar.

Inzwischen frisst sich die Paranoia nach allen Seiten. Soldaten, die in die Golfregion versetzt werden, stürmen die Samenbanken, die den Soldaten sogar Rabatt geben – jedenfalls in Kalifornien. In der aktuellen Village Voice fürchtet Richard Goldstein, die US-Regierung könnte einen Terrorangriff selbst inszenieren, um im Anschluss die Bürgerrechte auszuhöhlen. Nur im Büro von „United for Peace“, wo man sich als Aktivist im Bauch des Biestes begreift, hängt ein aufmunterndes Plakat: „God bless Hysteria“. CHRISTIANE KÜHL