: Plakatieren gegen Zwangsheirat
Sozialsenator Wersich kündigt für 2009 ein Schutzhaus an. Doch das Beratungsangebot für Mädchen, die von Zwangsheirat betroffen sind, reiche bei weitem nicht aus, sagen die Beraterinnen
Die Beratungsstellen gegen Zwangsheirat Lâle und Ibera starteten 2007 mit je einer Mitarbeiterin und waren schnell überlastet. Nach einer Problemanzeige stockte die Sozialbehörde im April den Etat für beide Beratungsstellen von 90.000 auf 150.000 Euro auf, so dass je zwei Mitarbeiterinnen bezahlt werden können. 2009 soll es 210.000 Euro geben – nicht genug für die geforderte weitere Verdoppelung der Stellen. KAJ
VON KAIJA KUTTER
„Zwangsheirat gibt es nicht nur in der großen weiten Welt, sondern auch bei uns“, sagte gestern CDU-Sozialsenator Dietrich Wersich, bevor er im Jugendzentrum Bahrenfeld ein Plakat an die Wand hängte. Darauf ist in Großschrift „EHRE“ zu lesen. Das „R“ ist mit Blutstropfen verdeckt, so dass es auch „EHE“ heißt. Das Plakat wurde zusammen mit einer Postkarte von den Beratungsstellen Lâle und Ibera erstellt, die 2007 für Opfer von häuslicher Gewalt und Zwangsverheiratung eingerichtet wurden.
„Das Material soll dazu dienen, in Schulen und Jugendzentren Diskussionen anzuregen“, erklärte Gisela Schnelle vom Lâle-Träger IKB. Der darunter stehende Appell „Wehr dich gegen Zwangsheirat! Schließlich geht es um Deine Ehre“, sei bewusst in Du-Form gehalten. Es sei individuell verschieden, ob zuerst das Wort „Ehre“ oder „Ehe“ gelesen und das Blut mit einer Hochzeitsnacht oder Gewalt in Verbindung gebracht werde.
„Unser Ziel ist, das Thema zu enttabuisieren“, sagte Iris Jäger von Ibera-Träger Verikom. Eine Podiumsdiskussion habe kürzlich gezeigt, dass es immer noch Migrantenorganisationen gibt, die sich an das Thema nicht herantrauen. Dabei befassten sich Frauenberatungsstellen seit 20 Jahren damit.
Eine 2006 in Hamburg durchgeführte Studie ergab, dass in rund 60 Beratungsstellen 210 Fälle von erfolgter oder drohender Zwangsheirat gemeldet worden waren. Darunter gab es 42 so genannte „Ferienverheiratungen“ von Schülerinnen. Aktuellere Zahlen gibt es nicht.
Seit dem gewaltsamen Tod der 15-jährigen Morsal O. im Mai, die auch von Zwangsheirat bedroht war, sind die Jugendämter angewiesen, schärfer hinzusehen, wenn um Mädchen aus traditionell patriarchalen Familien geht. Bei der Sozialbehörde seien seitdem 15 Meldungen eingegangen, „die nach diesem Worst-Case-Szenario als kindeswohlgefährdend eingeschätzt werden“, sagte Wersich.
Auch die Beraterinnen berichten von mehr Fällen von Zwangsheirat seit Mai. Mit Blick auf eine drohende Ferienverheiratung habe man im Sommer mit einer Schülerin telefonisch zum Ferienort Kontakt gehalten. Oft kämen Freund oder Brüder mit, um ihre Schwestern zu schützen. Nötig wäre ein Schutzhaus, in dem Mädchen oder auch Jungen, die sich von ihrer Familie distanzieren, kurzfristig bis zur Klärung ihrer Lage wohnen können. Wersich sicherte zu, dies werde 2009 eingerichtet.
Aber auch die Beratungskapazitäten von Lâle und Ibera genügen nicht (siehe Kasten). „Sogar fünf Beratungsstellen wie unsere wären ausgelastet“, sagte Jäger. Die wird es aber wohl nicht geben. „Ich halte nichts davon, für alles besondere Stellen zu schaffen“, sagte Wersich. Stattdessen sollten Jugendämter und andere Institutionen mehr Kompetenz erwerben.
Einig war man sich, dass das Thema auch Sensibilität erfordert. So unterscheiden die Beraterinnen zwischen Zwangsheirat und arrangierten Ehen. „Wir sagen, dass ist in Ordnung, so lange der Junge und das Mädchen die Möglichkeit haben, ‚Nein‘ zu sagen.“ Vor allem bei Teenagern sei nicht sicher, ob das „Ja“ eine bewusste Entscheidung für die Zukunft sei. „Es kommen Frauen mit Mitte 20 in die Beratung und sagen, ‚ich habe mich damals arrangiert, aber im Nachhinein gemerkt, es ist irgendwie Zwang gewesen‘“.
Er sehe „das mit der arrangierten Ehe“ kritisch, sagte Wersich, warnte aber auch vor kulturellem Hochmut. Schließlich ist die Gleichstellung von Mann und Frau „auch in unserem Land nicht alt“.